Morag und der magische Kristall
Widmung. Wann immer sie diese Worte las, begann ihr Herz zu singen. Es waren einfache Worte, aber ihr bedeuteten sie viel:
Für Morag,
Bis wir uns wiedersehen …
Alles, alles Liebe von Mum und Dad.
Vor Seite 13 steckte ein Lesezeichen bei einem kurzen Gedicht. Es war ein kleines Stück rosafarbener Pappe, gerade groß genug, um behaglich in ihre Hand zu passen. Vermutlich eine sehr alte Zugfahrkarte, denn darauf stand in verblichenen schwarzen Lettern der Name eines Bahnhofs, den Morag trotz größter Anstrengungen nie hatte entziffern können. Der Name enthielt ein »M« und ein »r«, aber den Rest konnte sie nicht lesen.
Als Morag aus ihrem Zimmer schlüpfte und sich vom Dachboden und die knarrende Treppe hinunter in die Küche stahl, wo sie sich neben dem Herd wärmen konnte, fühlte sich das Buch in der Tasche ihres Morgenmantels beruhigend schwer an.
Die Pension Stokers Seeblick war zu dieser frühen Uhrzeit wirklich ein unheimlicher Ort, und Morag hasste es, als Erste auf zu sein. Selbst an den hellsten Tagen war das Haus dunkel und voller Schatten und jeder Raum darin benötigte dringend ein wenig Aufmerksamkeit und einige Renovierungsmaßnahmen. Lack blätterte vom Holz ab, an manchen Stellen fehlten Tapetenstreifen und die Teppiche waren fleckig und fadenscheinig. Das hohe, schmale Haus hatte sechs Räume, Morags Schlafzimmer auf dem Dachboden nicht mitgerechnet. Im Erdgeschoss lag das Wohnzimmer mit seinen aufgeplatzten Sofas und Sesseln, das Esszimmer, in dem, abgesehen von Jermys verschlossenem Schreibtisch mit dem Computer, keine anderen Möbel standen, und die große, schmutzige Küche, die von einem alten Herd beherrscht wurde. Eins der drei ungeliebten Zimmer im ersten Stock war Jermys und Moiras unordentliches Schlafzimmer, die beiden anderen waren dauerhaft unerwünschte und ungeöffnete Gästezimmer. Morag fragte oft, ob sie nach unten in eins der richtigen Schlafzimmer ziehen dürfe, aber Jermy und Moira lehnten ihre Bitte stets ab und erklärten ihr, die Zimmer würden für Gäste benötigt. Aber es kamen nie welche.
»Außerdem«, höhnte Jermy bei solchen Gelegenheiten, »bist du uns auf dem Dachboden nicht im Weg.«
Bis sie die Küche erreichte, waren Morags Füße eiskalt. Das Ganze wurde nicht besser dadurch, dass der Boden aus selbst im Sommer eisigem, rissigem Linoleum bestand. Sie wünschte, sie hätte ihre Socken angezogen, aber nun war es zu spät, um wieder nach oben zu laufen – die beiden könnten sie vorbeigehen hören, und Morag wollte sie nicht wecken. Sie eilte auf Zehenspitzen zum Küchentisch hinüber und zog einen der klapprigen Stühle zum Herd. Leise setzte sie sich hin und genoss die wunderbare Wärme. Dann hob sie beide Füße und hielt sie nur wenige Zentimeter vor den alten Herd. Ah, das war noch besser. Der Herd ging niemals aus, da Morag dafür sorgte, dass er stets mit genug Feuerholz gefüttert wurde, und seine abblätternde rote Emaillehaut war immer heiß: zu heiß, um sie zu berühren, aber gerade richtig, um sich in ihrer Nähe aufzuhalten. Morag spürte, wie in ihre tauben Füße langsam die Wärme zurückkehrte. Es war die reine Glückseligkeit.
Auch wenn das Haus kalt und unheimlich sein konnte, war dies die einzige Zeit des Tages, in der Morag das Gefühl hatte, es ganz für sich allein zu haben. Solange Jermy und Moira noch im Bett lagen, hatte sie Zeit, sich vorzustellen, eine Prinzessin oder ein berühmter Filmstar zu sein oder einfach das Kind anderer Menschen. Sie dachte an die beiden im oberen Stockwerk, ihre »Eltern«, wie sie sich selbst nannten. Sie waren nicht wirklich ihre Eltern, sie hatten sie als Baby adoptiert, aber sie taten gern so, als seien sie es. Sie benahmen sich nicht wie echte Eltern; es gab keine Umarmungen, keine Küsse und erst recht keine Liebe. Es gab nur ihre Kälte und ihren Ärger. Jermy ignorierte Morag im Allgemeinen und Moira schrie ihr lediglich Befehle und Anschuldigungen zu. Und dann waren da all die Dinge, die Morag in der Pension für sie erledigen musste: das Staubwischen und Putzen, das Bügeln und Waschen, das Einkaufen und Kochen. Den größten Teil der Zeit wünschte Morag, sie hätte ein anderes Leben oder zumindest eine andere Mum und einen anderen Dad. An ihre richtigen Eltern konnte sie sich nicht erinnern, und sie wusste nicht, was ihnen zugestoßen war. Jermy hatte gesagt, sie seien davongelaufen und hätten sie im Stich gelassen, aber Morag glaubte das keinen Moment lang. Sie waren
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