Morbus Dei: Die Ankunft: Roman (German Edition)
eine Weile bei der Arbeit zugeschaut, dass ich sie ordentlich mach“, sagte Franz kopfschüttelnd.
„Muss er. Er ist für seine Soldaten verantwortlich, und da kommt die Wache an erster Stelle. Ohne Wache keine Sicherheit“, meinte Johann.
Er merkte, dass es in der Stube ruhig geworden war. Alle starrten ihn an.
Narr. Halt dich zurück
.
„Sicherheit? Auf wessen Seite stehst du denn? Und wer soll überhaupt ins Dorf kommen?“, fragte Franz ungläubig. „Wir sind völlig abgeschnitten.“
„Das hat jemanden vor kurzem nicht davon abgehalten, eine Kuh aus dem Stall zu stehlen.“
„Setzt euch erst einmal hin. Wir trinken was, und dann singen wir“, meinte der Großvater.
„Der Ofen mag äußerlich etwas wärmen, aber fürs Innere braucht’s mehr. Johann? Einen Schnaps? Hab gehört, du bist ganz wild danach.“ Franz grinste.
Johann nickte gottergeben und rollte mit den Augen, alle lachten.
Franz schenkte nacheinander jedem einen Schnaps ein. Sie erhoben die Trinkbecher.
„Auf das Dorf.“
„Auf das Dorf!“
Johann kippte den Schnaps hinunter. Kaum zu glauben: Es war Obstschnaps.
Nach einer weiteren Runde Schnaps klatschte Martin Karrer in die Hände. „So, dann lasst uns anfangen. Ich bet das Ave Maria, Elisabeth, du singst dann dazu. Albin, du spielst auf der Scheithold.“
Elisabeth nickte. „Gern, Großvater.“
Albin stand auf und nahm die schmale Zither, die an der Wand neben der Ofenbank hing. Er setzte sich wieder zu den anderen, alle falteten die Hände.
„Gegrüßet seist du, Maria …“
Johann fragte sich, was nach dem Gebet kommen würde.
„Heilige Mutter Gottes, behüte uns vor der Bedrängnis und beschütze uns vor
ihnen
. Amen.“
Andererseits – wenn die Bewohner dieses Dorfes schon ihre Gebete so beendeten, war sich Johann sicher, dass es auch bei den Liedern nicht anders zuging.
Er sollte Recht behalten.
Alle bekreuzigten sich jetzt und sahen Elisabeth erwartungsvoll an. Diese räusperte sich leise, dann begann sie zu singen, begleitet von Albin, der auf der Scheithold mitspielte.
Johann hatte noch nie eine so schöne Stimme gehört. Voll und ausdrucksstark, gleichzeitig unendlich sanft. Elisabeth sang ein sehr altes Lied, über Tyrol, aber mit Psalmen und Bittgesängen durchsetzt, sodass etwas Eigenes, Neues entstand.
Sie sah Johann beim Singen in die Augen, er blickte zurück. Es schien, als würden sie etwas teilen, etwas, das –
Elisabeth hielt inne, jetzt begannen auch die anderen einzustimmen, sangen eine eigene Strophe, die in der Folge immer wiederkehrte, nachdem Elisabeth eine Strophe beendet hatte.
Und doch – bei aller Schönheit und Stimmung, die der Gesang in der Stube verbreitete, klang für Johann der eigentliche Gedanke deutlich durch, schnitt sich gleichsam bedrohlich zwischen die Harmonien: die Bitte an die Muttergottes um Schutz.
Vor
ihnen
.
Die Gesänge klangen durch die kleinen Fenster nach draußen. Der bayerische Wachposten, der eben abgelöst worden war und durch den zugeschneiten Pfad zu seinem Quartier stapfte, blieb stehen. Er sah zu dem Haus, dem warmen Licht, hörte die Melodien, die dem Sturm trotzten. Sie machten ihn wehmütig. Er musste an sein Zuhause denken, an Frau und Kinder, die er schon so lange nicht mehr gesehen hatte. Merkwürdig, dachte er. Wenn man für einen Augenblick denen zuhört, gegen die man vorzugehen hat, merkt man erst, wie gleich sie alle letztendlich doch sind. Freund oder Feind, jeden bewegt dasselbe.
Ruhe und Frieden.
Liebe.
Oder ein gemeinsames Lied in einer stürmischen Nacht.
Als der Soldat den Gesängen genauer lauschte, kroch ein beklemmendes Gefühl in ihm hoch. Irgendwie klangen die Melodien und Worte beunruhigend, er hatte plötzlich das Gefühl, als schnürten sie ihm die Kehle zu.
Unwillkürlich bekreuzigte er sich, dann stapfte er weiter. Der alte Albrecht hat Recht, dachte er. Wird Zeit, dass wir weiterkommen, irgendwas stimmt ganz und gar nicht in diesem verfluchten Tal.
Die Stimmung hatte für Johann etwas Magisches: der Sturm, die Stube, die fremdartigen und doch vertrauten Lieder …
Wobei etwas von dieser Magie sicher auch vom Schnaps kam, denn Franz hatte Johann schon drei Mal nachgeschenkt. Als Johann beim fünften abwehrend gewinkt hatte, stichelte Franz: „Ich will morgen in der Kirche nicht der Einzige sein, der einen schweren Kopf hat. Und Weihnachten ist auch bald – da predigt der Bichter morgen sicher lang. Schwere Predigt braucht einen schweren Kopf.“
Johann
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