Morbus Dei: Die Ankunft: Roman (German Edition)
rasch.
Der Kommandant und Albrecht sahen Johann nach.
„Albrecht?“
„Jawohl?“
„Den Mann im Auge behalten.“
„Natürlich, Kommandant.“ Der alte Kämpfer grinste.
XXIII
Martin Karrer saß an seinem Stubentisch und betete. Er betete so innig, wie er seit Jahren nicht mehr gebetet hatte. Dafür, dass für das Dorf und seine Bewohner die Zeit noch nicht gekommen war.
Er betete für Elisabeth.
Und er bat Gott um Vergebung, dass er einen nicht in seine Gebete einschloss. Auch wenn es sein eigen Fleisch und Blut war. Aber er glaubte schon lange nicht mehr, dass sein Sohn irgendeine Form der Vergebung verdient hatte. Nicht seit dem Winter, als er seine eigene Mutter hatte sterben lassen.
Ein Klopfen an der Tür. Der alte Mann sah auf, bekreuzigte sich. „Herein mit euch!“
Johann und Elisabeth betraten die Stube.
„Ist der Jakob noch beim Wirt, Johann?“
Elisabeth antwortete an Johanns Stelle. „Der kommt nicht vor einer Stunde. Das tut er nie.“
Der alte Mann nickte. „Die Zeit muss reichen.“ Er sah die beiden durchdringend an.
„Was ist denn, Großvater?“, fragte Elisabeth, die sich unter seinem Blick unbehaglich fühlte.
„Setzt euch, Kinder.“
Die beiden setzten sich.
„Ich sag’s euch frei raus: Ihr solltet das Dorf so rasch wie möglich verlassen.“
„Was? Aber Großvater –“
Der alte Mann machte eine abwehrende Handbewegung. „ Ich freu mich ja, dass ihr zwei euch mögt. Aber ich bin nicht der Einzige, der das gemerkt hat, auch der Jakob ist schon misstrauisch. Und du weißt, was er tut, wenn er euch erwischt.“ Er hielt einen Moment inne. „Außerdem kann die Stimmung im Dorf jeden Moment umschlagen. Die Soldaten und –“
„Und die Ausgestoßenen?“, fragte Johann.
„Ja“, sagte Martin Karrer knapp.
„Da ist jetzt aber schon lange nichts mehr passiert. Bis aufs Stanzerl halt“, fügte Elisabeth hinzu. „So richtig, mein ich.“
„Ich hab eine schlimme Vorahnung, und die wird von Tag zu Tag ärger. Ich bitt euch inständig: Nehmt das Nötigste mit und lasst dieses Tal hinter euch.“ Der Großvater legte die Stirn in Falten. „Schau Liserl, ich bin auch nicht mehr der Jüngste, und mit dem Johann hast einen rechten Mann an deiner Seite.“
Elisabeth schüttelte trotzig den Kopf. „Ich geh nicht ohne dich, Großvater.“
„Bei allem Respekt, aber ich seh auch nicht, warum wir von heut auf morgen alles hinter uns lassen sollten. Durch den Schnee würden wir sowieso nicht weit kommen. Erst wenn’s ein bisschen taut, vielleicht. Und selbst dann …“ Johann rieb sich das Kinn. „Selbst dann versteh ich’s nicht.“
„Man muss auch nicht immer alles verstehen, Johann“, warf Elisabeth ein.
„Kluge Worte“, bekräftigte der Großvater.
„Nein, eben keine klugen Worte. Genau das sind die Gründe, warum die Leut falsche Entscheidungen treffen. Sie nehmen Dinge einfach hin, nur weil sie ihnen jemand vorbetet, ohne selbst zu überlegen. Dabei ist es genau umgekehrt: Je mehr man von etwas weiß, desto besser kann man die richtige Entscheidung treffen.“
Elisabeth schüttelte verständnislos den Kopf. Nur Martin Karrer ahnte, worauf Johann hinauswollte. Er ahnte auch, dass er das, was er wusste, nicht mehr länger verschweigen konnte.
Vielleicht sollte er das auch gar nicht.
Er seufzte, dann lehnte er sich zurück. „Ich nehm nicht an, dass ich dich umstimmen kann?“
Johann schüttelte den Kopf.
Der alte Mann begann seine Pfeife zu stopfen, schien zu überlegen. Dann gab er sich einen Ruck. „Nun gut. Dann soll’s so sein.“
Und er erzählte ihnen alles.
Es war vor über 100 Jahren. Oberflächlich schien alles im Dorf seinen Weg zu gehen: Es hat schon lange keine schlechte Ernte mehr gegeben, das Vieh war zahlreich, den Leuten ging es gut.
Vielleicht zu gut. Es heißt, die Leut sind hochmütig geworden.
Und dann ist es auf einmal geschehen: Innerhalb von wenigen Jahren sind immer wieder Kinder auf die Welt gekommen, die anders waren. Kinder mit einer Haut wie aus Wachs, die in der Sonne fast geschmolzen ist, und am ganzen Körper haben sie schwarze Verästelungen gehabt. Ihr Zahnfleisch war immer wund, die Zähne haben ausgeschaut wie von einem Tier.
Die Leute waren zuerst entsetzt, natürlich. Sie haben die Kinder versteckt, weil sie sich geschämt haben. So konnte zumindest nach außen kein Schaden entstehen, haben sie sich gedacht.
Sie hatten Unrecht.
Nach einer gewissen Zeit haben sich andere angesteckt. Mütter. Väter.
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