Morbus Dei: Die Ankunft: Roman (German Edition)
leicht.
„Ich spreche vom Zorn, der über das Dorf kommen wird. Von der endgültigen Auslöschung
ihrer
Vergangenheit.“
„Ein – Gottesgericht?“ Elisabeth bekreuzigte sich bei diesen Worten.
„Warum soll das ausgerechnet jetzt kommen? Offenbar funktioniert doch das Totschweigen ganz gut!“ Johann fiel es immer noch schwer, der ganzen Geschichte Glauben zu schenken.
Der Großvater stand auf und blickte aus dem kleinen Fenster, das beinahe vollständig vom Schnee zugeweht war. „Ich weiß es auch nicht. Es ist mehr wie bei einem geprügelten Hund. Der wird auch alle Hiebe geduldig ertragen, bis er schließlich zubeißt. Und Hiebe gab’s wahrlich genug.“
Wie auf Befehl trottete Vitus neben seinen Herrn und blickte ihn erwartungsvoll an. Der Großvater kraulte ihn hinter den Ohren, der Hund winselte genüsslich.
„Ich red ja nicht von dir, Vitus“, murmelte der alte Mann besänftigend.
„Wir können dich doch nicht allein lassen, Großvater. Nicht jetzt, wo die Soldaten hier sind.“ Elisabeths Stimme klang bestimmt, sie schien den ersten Schock über die Vergangenheit des Dorfes bewältigt zu haben.
Der alte Mann wandte sich wieder den beiden zu. „Macht euch um mich keine Sorgen, einem Greis werden sie schon nichts tun. Aber geht, solang noch Zeit ist.“
In Johann keimte leises Unbehagen auf. Was, wenn der alte Mann doch Recht hatte und die Geschichte stimmte?
„Was wird aus dem Rest des Dorfes werden?“, fragte er beunruhigt.
„Vielleicht ist es an der Zeit, dass wir uns endlich unserer schändlichen Vergangenheit stellen. Der Herrgott wird mit denen sein, die voll der Reue reinen Herzens sind. Und dafür ist es nie zu spät“, erklärte der Großvater.
Voll der Reue. Ein schöner Gedanke. Nun, das würde dann ja wohl nicht viele in diesem Dorf betreffen, dachte Johann. Er nahm Elisabeths Hand. „Wir werden gehen, das versprech ich.“ Er hielt inne. „Aber erst, wenn die Soldaten weg sind.“
Der Großvater starrte ihn an.
Dann nickte auch Elisabeth. „Und wir werden jeden mitnehmen, der sich uns anschließen will. Wir können unsere Leut nicht ihrem Schicksal überlassen.“
„Das geht nicht. Die Wege sind zugeschneit, die Alten und die Kinder schaffen das nicht“, sagte Martin Karrer beschwörend.
„Wir werden einen Weg finden. Nicht, Johann?“
Johann sah die Entschlossenheit in ihren Augen. In diesem Augenblick war sie nicht nur schön – sie war für Johann der Inbegriff all dessen, was er je begehrt hatte.
Er liebte sie.
„Ich versprech’s.“ Johann drückte ihre Hand, sie lächelte ihn an.
„Verdammte Narren“, grummelte der Großvater. Aber hinter dem Groll verbarg sich ein Lächeln. Er war stolz auf seine Enkelin, insgeheim hatte er gewusst, wie sie reagieren würde. Und er war stolz auf den Mann, den sie sich ausgesucht hatte.
Vielleicht gab es ja doch noch Hoffnung.
XXIV
„List! Bitte nicht! Habt Mitleid!“
Johann erwachte, riss die Augen weit auf. Sein Herz pochte, trotz der Kälte in der Schlafkammer war er schweißgebadet.
Wieder der Alptraum. Wieder die verhasste Stimme. Wann würde sie je verstummen?
Wenn du für deine Schuld bezahlt hast
.
Johann rieb sich die müden Augen. Seine Kehle war wie ausgedörrt, er ging zum Tisch unter dem kleinen Fenster, auf dem ein Wasserkrug stand. Albin schlief unterdessen unbeirrt weiter.
Johann hob den Krug und nahm einige Schlucke des eiskalten Quellwassers. Es erfrischte ihn, und er fühlte sich etwas besser. Er stellte den Krug unter dem Fenster ab, das völlig von Eisblumen bedeckt war, dann schabte er mit den Fingern einen kleinen Fleck vom Glas und blickte hinaus.
Das Dorf lag vor ihm, tief verschneit, die Nacht war sternenklar, der Schnee glitzerte unter dem Mondlicht. Am Ende des Dorfes hob sich die Kirche gegen den Himmel ab.
Ein friedlicher Anblick. Wenn man nicht um die Geschichte des Dorfes wusste, das seine Geheimnisse wie unter meterhohem Schnee verbarg.
Als Johann an die Geschichte der Ausgestoßenen dachte, die ihnen der Großvater erzählt hatte, fröstelte ihn. Wie schmerzhaft es war, nicht bei Vater und Mutter aufwachsen zu können, hatte er am eigenen Leib erfahren, doch war er immerhin zeitlebens gesund gewesen. Aber wie die Tiere in den Wäldern zu leben und das Licht zu scheuen – das musste über die Zeit die Seele so finster werden lassen wie die dunklen Abgründe, in denen man zu hausen gezwungen war.
Wenn es stimmte, dass der Herr die am härtesten prüfte, die er am
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