Mord allein macht auch nicht glücklich: Ein Provinzkrimi (German Edition)
Sekunden verweilen ließ, was man an seinen dicken Backen erkennen konnte, bevor er schließlich die Augen zusammenkniff und ihn mit einem Ruck herunterschluckte wie einen besonders widerlichen Hustensaft. Danach schüttelte er sich vor Ekel
»Mensch Bruno, die Leute gucken schon«, flüsterte Kai.
»Sollnse doch kieken«, sagte Bruno so laut, dass es auch die in Grüppchen herumstehenden Gäste hören konnten, und alle die geguckt hatten, wendeten sich gleichzeitig ab. Wie an Strippen gezogen. Nur Frau Schmidt-Balldruscheidt, die am Büfett stand und die Häppchen und Schnittchen in ordentliche Reihen brachte, schickte weiterhin Blicke wie aus geschliffenem Stahl in Brunos Richtung.
»Ick find den Wein jut«, sagte Peggy, »schön fruchtich und schön kalt. Passt jut zum Sommer.«
»Aber passt nich unbedingt jut zu deine Anziehsachen«, sagte Bruno. Und Kai fand, dass Bruno damit ausnahmsweise mal richtig lag. »Die sehn eher nach Kleiner Feigling aus. Meine Meinung.«
»Ausjerechnt du musst dich melden, mit deinem Hemd«, sagte Peggy und sah Bruno giftig an.
Denn nur weil sie zu faul gewesen war, noch einmal zum Corsa zu gehen und ihren kleinen Koffer in die Gästewohnung zu holen, in dem sich eine neutrale Jeans und eine halbwegs seriöse Bluse befanden, saß sie jetzt in einem zweiteiligen, pinkfarbenen, eng anliegenden und deswegen sehr körperbetonenden Frotteeanzug in der ersten Reihe der Kulturscheune. Die drei goldenen Streifen an den Ärmeln und den Hosenbeinen zeigten sehr deutlich, dass sie den ultramodischen Strampler aus dem Adidas-Flagship-Store in Berlin-Mitte hatte. Von wo im Übrigen auch ihre goldfarbenen Turnschuhe mit den türkisfarbenen Streifen stammten.
»Eins kann ick dir sagen, Bruno, wat ick heut anhab, hat bestimmt mehr jekostet wie alle deine Klamotten zusammen.«
»Du weißt nich, wat meine Hose jekostet hat, Mädchen.«
»Und mit Sicherheit ooch mehr als der Jutesack von der ollen Schmidt-Baldrian«, ließ sich Peggy nicht beirren, »und ma ehrlich, dein Hemd, Bruno, passt ooch nich unbedingt zu diesem Wein, mit seiner exquisiten, fruchtigen Blume.«
»Ick wollte ja auch Bier«, maulte Bruno.
Weil mittlerweile sämtliche Blicke in der gut gefüllten Kulturscheune auf Bruno und Peggy ruhten, steckte Kai van Harm seine Nase tief in sein Buch, ohne sich jedoch auf den Text konzentrieren zu können, und er hob erst wieder den Blick, als sich Frau Schmidt-Balldruscheidt ins Mikrofon räusperte, um die Gäste zu begrüßen und den offiziellen Beginn der abendlichen Lesung anzukündigen. Sofort brach das allgemeine Gemurmel ab, und das Publikum ließ sich auf seinen Plätzen nieder. Kai erhob sich und ging nach vorn zum Bistrotisch, auf dem ein Glas Wasser stand. Während Frau Schmidt-Balldruscheidt den Klappentext seines Buches nacherzählte, seinen Geburtsort und das Geburtsjahr nannte, musste sich Kai mit einem festgefrorenen Lächeln im Gesicht vom versammelten Bürgertum aus Jüterbog und Dahme und sogar aus Luckenwalde begutachten lassen. Ab und zu deutete er eine Verbeugung an, doch das war letztendlich sinnlos, denn kaum eine der Zuhörerinnen und Zuhörer hatte diese Art von unverbindlichem Lächeln im Gesicht, mit dem man als höflicher Mensch einem Unbekannten entgegentrat. Einige wenige blickten zwar erwartungsvoll in die Runde, so wie der freundliche Herr, der den Riesling verteilt hatte, aber die meisten guckten zutiefst misstrauisch aus ihrer so gepflegten wie exquisiten Wäsche. Sie schienen zu befürchten, dass Kai van Harm sich als ein Scharlatan erweisen könnte, der sie um die 10 Euro Eintritt betrügen wollte, die Frau Schmidt-Balldruscheidt vorhin von ihnen kassiert hatte. Immerhin war er nur der Ersatz.
Als die Leiterin der Kulturscheune schließlich behauptete, Kai van Harm sei ein junges Talent im fortgeschrittenen Alter, prusteten Bruno und Peggy wie auf Kommando los. Wenigstens die beiden hatten ihren Spaß, dachte Kai. Dann sagte Frau Schmidt-Balldruscheidt noch, dass sein, Kais, Buch auf einer wahren Begebenheit basiere, die im letzten Jahr bis weit über die Landesgrenzen für Schlagzeilen gesorgt habe, und außerdem noch, dass es nach fünfundvierzig Minuten Lesung eine zehnminütige Pause geben werde, in der das Publikum sich frische Getränke besorgen könne. Danach werde der Gast, Kai van Harm, noch einmal für zirka eine halbe Stunde vortragen, und gegen halb zehn schließlich werde man das Büfett eröffnen, womit der gemütliche Teil des Abends
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