Mord allein macht auch nicht glücklich: Ein Provinzkrimi (German Edition)
dass es keine Entführung gab, nicht mal einen Autodiebstahl. Andererseits hatte er nach diesem zweiten irgendwie aus dem Ruder gelaufenen Telefongespräch innerhalb einer Woche noch weniger Hoffnungen, dass sich ihre Beziehung reparieren lassen würde. Zu langer Scheitel hin, zu langer Scheitel her: Der Graben zwischen ihnen wuchs, das war kein Riss mehr, wie noch vor einem Jahr, den man einfach kitten konnte.
Kai schlief also den nervösen Schlaf eines Erschöpften. Noch schneller weggetreten aber war Bruno, der schon zu schnarchen anfing, kaum dass Peggy den Wagen zurückgesetzt hatte. Der Verdauungsschnaps, den er am Ende der Mahlzeit auf den Entenbraten in seinen Magen gekippt hatte, war nur das i-Tüpfelchen auf einer ganzen Reihe von Bieren gewesen. Kai und Peggy hatten jedenfalls gestaunt, wie viel er am frühen Nachmittag schon wegstecken konnte.
Es regnete zwar immer noch, aber der Himmel war nicht mehr schwarz, sondern von einem hellen Grau, das Licht war nicht mehr gelb und die Gewitterfront Richtung Berlin weitergezogen, während sie im Landgasthaus das späte Mittagessen zu sich genommen hatten. Die Scheibenwischer verrichteten jetzt wieder ordnungsgemäß ihre Arbeit, und um sich ein bisschen abzulenken, von den schmatzenden und knarrenden Schlafgeräuschen ihrer beiden Reisebegleiter, schaltete Peggy das Autoradio ein. Sie suchte einen Sender, in dem ein Hörspiel lief, und fuhr, wie es Bruno bestimmt hatte, stur die Bundesstraße 101 gen Süden, kam durch Luckenwalde und Jüterbog und fand sogar, ohne dass sie Bruno wecken und um einen Blick in den Atlas bitten musste, problemlos die Abzweigung zur Bundesstraße 102 Richtung Dahme.
Um kurz vor sechs passierte der Corsa das Ortseingangschild von Wiepershof und stand fünf Minuten später vor der Kulturscheune, aus deren übergroßen Fenstern ein einladendes warmes Licht in das dunkle Flämingdorf leuchtete, das platt zu beiden Seiten der Katzenkopfstraße lag.
Peggy drückte zweimal die Hupe. Bruno wurde sofort wach, löste den Gurt und riss die Tür auf. Er nahm drei, vier große Züge von der kühlen Landluft, schüttelte und reckte sich und rief dann Peggy zu, die ebenfalls ausgestiegen war und nun ebenfalls Dehnübungen machte: »Ick bin wieder da.«
»Dit freut mich, Bruno.«
Schließlich schälte sich auch Kai van Harm ächzend aus dem Kleinwagen, stemmte die Hände in die Hüften und bog das Kreuz durch, während er einen ersten Blick auf diesen seltsamen Ort warf, an dem er heute auftreten sollte. In diesem Moment ging die Tür der Kulturscheune auf, und Frau Schmidt-Balldruscheidt kam ihnen mit zum Willkommen ausgebreiteten Armen entgegen. Obwohl es noch immer nieselte, hatte sie weder einen Regenschirm dabei, noch trug sie eine Jacke über dem knöchellangen Leinenkleid, dessen Lehmton sich irgendwie nicht mit der Farbe ihrer Haare vertrug, wie Kai fand. Es war ganz offensichtlich: Die Kulturscheune war ein Fremdkörper in Wiepershof, und Frau Schmidt-Balldruscheidt in ihrer Achtziger-Jahre-Schrillheit war es nicht weniger, genauso wie Kai van Harm selbst in seinem hellgrauen Sommeranzug, dem rosafarbenen Hemd, den eleganten Budapestern an den Füßen und seinem überlangen Scheitel. Der Einzige, der hier irgendwie herpasste, war Bruno, sogar sein gefälschtes Lifestyle-Hemd passte wie die Faust aufs Auge, dachte Kai, denn Wiepershof war im Grunde nicht anders als Altwassmuth, es war ein langweiliges brandenburgisches Dorf. Und so wie sich Altwassmuth mit seiner jährlichen Storcheninvasion interessant zu machen versuchte, so versuchte es Wiepershof anscheinend mit seiner Kulturscheune.
»Lieber Herr van Harm«, sagte Frau Schmidt-Balldruscheidt mit unnatürlich aufgekratzter Stimme, »seien Sie und Ihre Begleiter recht herzlich begrüßt im Namen des Kulturscheune e. V., als deren Leiterin ich mich Ihnen vorstellen darf …« Und Kai überlegte, während er die feuchte Hand der Leiterin schüttelte, die einen Sinn für komplizierte Syntax zu haben schien, warum Leute wie sie nicht einfach in Städten wie Berlin blieben, wo sie nicht weiter störten. Nein, stattdessen zogen sie raus ins Grüne und konnten die Füße nicht stillhalten und fingen irgendwann an, die Landbevölkerung mit ihrer Kultiviertheit und ihrem Sinn für Kunst und Literatur, für gehobenes Essen und für neuen deutschen Winzerwein zu belästigen.
»Elisabeth Schmidt-Balldruscheidt.« Und mit ihren dämlichen Doppelnamen, ergänzte Kai seinen letzten Gedankengang.
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