Mord am Niddaufer - ein Kriminalroman
entschlossen haben, ihn in Ruhe zu lassen?
„Soll ich Jan auch noch anrufen?“, wollte Will wissen.
„Ja“, sagte Bohlan nach kurzem Überlegen. Will tippte auf die Tasten und hielt sich das Handy ans Ohr.
„Hier ist Julia Will und wer ist da bitte? Frau Maurer?“, fragte Will verwirrt. „Wo ist Steininger? Aha … Wir sind gerade auf dem Weg zu Frau von Lichtenhagen. Morgen früh. Ja, natürlich.“ Will klickte das Gespräch weg und blickte nachdenklich auf die Silhouette des Taunus.
„Hab ich richtig gehört? War das die Maurer? Du hast doch Jan angerufen, oder?“
„Ja.“
„Wieso geht dann die Staatsanwaltschaft ans Telefon?“
„Weiß nicht. Angeblich, war Jan gerade auf der Toilette und hat sein Handy auf dem Schreibtisch liegen lassen.“
„Jan ist noch im Präsidium?“
„Scheint so.“
„Komische Geschichte. Das sollten wir mal im Auge behalten.“
„Was meinst du damit?“
„Jan und die Staatsanwältin. Irgendwas ist da im Busch.“
Annette von Lichtenhagen blickte überrascht, als sie Bohlan und Will vor der Tür stehen sah. Im Gegensatz zu ihrem durchgestylten Auftreten bei den bisherigen Begegnungen hinterließ sie einen desorientierten Eindruck. Ihre Haare waren offen, beinahe zerwühlt. Ihr Gesicht war blass und farblos, was vermutlich am fehlenden Make-up lag. Sie trug eine weite Hose und eine viel zu große Bluse. Nichts erinnerte an die taffe Direktorin.
„Sie schon wieder“, raunte von Lichtenhagen. „Hat man noch nicht einmal abends seine Ruhe?“
„Entschuldigen Sie die späte Störung. Es sind noch ein paar Fragen aufgetaucht, die keinen Aufschub dulden“, sagte Bohlan und versuchte, so freundlich wie möglich zu sein. Mit widerwilligem Gesichtsausdruck, aber ohne weiteren Kommentar, gab von Lichtenhagen die Tür frei und ließ die Kommissare ins Haus. Sie schien noch gearbeitet zu haben. Der Laptop stand auf dem Wohnzimmertisch, daneben lagen Telefon, eine halbvolle Weinflasche und ein gefülltes Glas. Keith Jarrett hämmerte auf die Klaviertasten. Von Lichtenhagen nahm die Fernbedienung und drehte die Musik leiser.
„Nehmen Sie doch Platz“, sagte sie mit einer einladenden Handbewegung. Erst jetzt fiel Bohlan auf, dass von Lichtenhagen möglicherweise schon ein Glas über den Durst getrunken hatte. Ihre Wortmelodie war nicht wie üblich klar und deutlich, sondern schleppend. Bohlan und Will nahmen auf einer weißen Ledercouch Platz. Von Lichtenhagen hob ihr Glas.
„Wollen Sie auch einen Schluck?“
„Nein, danke“, sagte Bohlan.
„Ach, kommen Sie schon, Herr Kommissar. Es ist ein wirklich edles Tröpfchen. Ich habe ihn eben erst aus dem Weinkeller geholt. Mein Mann ist ein wahrer Weinkenner. Er kauft nur die besten Weine. Ich persönlich trinke nur. Und ehrlich gesagt kann ich das ganze Bohei um Wein nicht verstehen. Für mich gibt es nur solchen, der schmeckt und solchen, der nicht schmeckt. Und dieser hier schmeckt ausgezeichnet. Ich hoffe, dass ich auch einen Teuren erwischt habe.“
Von Lichtenhagen lachte beinahe frivol auf. „Schließlich soll der Arsch mal ordentlich blechen.“
„Frau von Lichtenhagen. Ich bin mir nicht ganz sicher, ob es so viel Sinn macht, das Gespräch weiterzuführen.“
„Warum denn nicht, Herr Kommissar? Seien Sie mal kein Langweiler. Ich habe vielleicht schon das eine oder andere Gläschen getrunken, aber ich kann mich noch ganz gut unterhalten. Vielleicht möchte Ihre kleine Freundin ja ein Glas.“ Von Lichtenhagen wandte den Blick zu Julia Will.
„Nein, danke.“
„Na, dann wundert es mich nicht, dass Sie mit Ihren Ermittlungen nicht weiter kommen. Wissen Sie, was Ihnen fehlt?“ Sie schaute Bohlan und Will belustigt an. „Sie sind zu wenig lasterhaft. Nehmen Sie sich ein Beispiel an meinem Mann. Der kauft teure Weine, hat mal hier, mal dort eine Freundin und genießt das Leben. Deshalb ist er erfolgreich. Sie hingegen sitzen kleinlaut auf meinem Sofa und schauen zerknirscht aus der Wäsche.“
Bohlan räusperte sich. Er war sich nicht mehr sicher, ob es eine gute Idee war, von Lichtenhagen in dieser Verfassung zu verhören. Anderseits: was sollte passieren? Im schlimmsten Fall verplapperte sich die Direktorin. Sie hatte sich überhaupt nicht mehr unter Kontrolle.
„Wir waren eben bei Katharina Fischer. Von ihr haben wir erfahren, dass Sie Andreas Fischer schon ziemlich lange kennen.“
„Ja. Interessant, welche Wendungen das Leben manchmal parat hat, nicht wahr?“ Von Lichtenhagen nippte an
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