Mord am Niddaufer - ein Kriminalroman
sich spätestens nach zwei Tagen wieder zusammengerauft. Umso merkwürdiger war es, dass Lea nun einfach verschwunden war. Sie hatte sich in den letzten Wochen zwar etwas merkwürdig verhalten, war distanzierter als sonst gewesen und hatte nicht jeden Tag angerufen. Natascha hatte den Verdacht, dass irgendein Junge dahinterstecken musste. Doch so sehr sie auch versucht hatte, etwas aus Lea herauszubekommen, es war ihr nicht gelungen. Normalerweise hätte Natascha dieses Abblocken kränken müssen. Schließlich hatten sie sich in der Vergangenheit ausnahmslos alles über ihre Freunde erzählt. Doch auch sie selbst hatte über ihre aktuelle Beziehung Lea gegenüber kein Wort verloren. Aber das war eine andere Geschichte. Oder war es doch keine andere Geschichte? Vielleicht hing Leas distanzierte Art direkt damit zusammen? Die Vorstellung, dass Lea etwas über ihre aktuelle Beziehung herausgefunden hatte und das der Grund für ihr Verhalten gewesen sein könnte, stimmte Natascha traurig. Sie hätte gerne mit Lea darüber gesprochen, doch das war ihr nicht möglich gewesen. Sie hatte mit niemandem über ihre Beziehung gesprochen.
Tom Bohlan war lange nicht durch Eschersheim gefahren. Die Zeiten, in denen er der Batschkapp, einer Diskothek, Besuche abgestattet hatte, lagen schon Jahrzehnte zurück. Er nahm am Weißen Stein die Abbiegung, raste an einer Eisdiele vorbei, die freilich bereits geschlossen hatte, und bog wenig später in die Zehnmorgenstraße ein. Etwa in Höhe des Fußballplatzes nahm er die Abbiegung zum Neubaugebiet. Moderne Reihenhäuser standen dicht an dicht, meist parkten schicke Autos davor. Bohlan verlangsamte das Tempo und hielt vor dem Haus der Familie Schuster.
„Bringen wir es hinter uns.“
Als Natascha um die Ecke bog, sah sie einen Wagen vor Schusters Haus halten. Ein Mann und eine Frau stiegen aus. Lea fühlte sich wie von einem Blitz getroffen. Obwohl sie noch nie im Leben mit der Polizei zu tun gehabt hatte, wusste sie sofort, dass es zwei Polizisten waren. Dies konnte nichts Gutes bedeuten. Natascha beschloss, noch nicht nach Hause zu gehen. Sie wollte sehen, wie sich die Sache hier weiter entwickelte, und blieb an der Straßenecke stehen. Sie wich lediglich einen Schritt zurück, um nicht im Schein der Straßenlaterne zu stehen. Die Minuten krochen quälend langsam dahin. Das Warten war schier unerträglich. Obwohl es immer noch ziemlich warm war, fröstelte es Natascha und sie sehnte sich nach einer Jacke. Die beiden Polizisten waren bereits gefühlte Stunden bei den Schusters. Natascha trat nervös von einem Bein auf das andere. Hätte sie jemand gefragt, warum sie hier stand und wartete, sie hätte ihm keine vernünftige Antwort geben können. Ihr Kopf war voller Fragen, ihr Herz voller Gefühle. Sie kramte eine Zigarettenpackung aus ihrem Rucksack, entnahm eine Zigarette, steckte sie in den Mund und zündete sie an. Der erste Zug war wie eine Erlösung. Sie sog das Nikotin tief in sich ein, um es dann wieder auszuatmen. Der blaue Dunst entstieg ihrem Mund und zog gen Himmel. Natascha schaute ihm nach. Der Himmel war sternenklar. Was, wenn es tatsächlich Lea war, die man aus der Nidda gezogen hatte? Würde sie jetzt auf einem dieser Sterne sitzen und auf sie herabschauen? Oder würde ihre Seele durch die Sommerluft schwirren und dicht an ihr vorbei ziehen?
Die Sorgen und die Angst der vergangenen Tage standen Herrn und Frau Schuster ins Gesicht geschrieben. Offensichtlich hatten sie viel geweint und wenig geschlafen. Tom Bohlan kam ohne viele Umwege zum Punkt, zumal er davon ausgehen musste, dass sich der Leichenfund im Stadtteil schnell herumgesprochen hatte. In knappen Worten berichtete er vom Leichenfund, wobei er aus Pietät den verschwundenen Kopf außen vorließ. Die Schusters hatten schon genug Kummer ertragen, den er nicht zusätzlich mit üblen Bildern überfrachten wollte. Immerhin wäre es noch möglich, dass es sich bei der gefundenen Leiche doch nicht um Lea Schuster handelte. Stattdessen sprach er nebulös von Schwierigkeiten bei der Identifizierung und kam auf das Foto in der Vermisstenakte zu sprechen, auf dem Lea Schuster mit der Skizze einer Lilie abgebildet war.
„Wie Sie sicher schon erfahren haben, wurde heute ein Leiche …“ Bohlan brach ab, als er seinen Blick von Herrn zu Frau Schuster schwenkte. Ihr zuvor angsterfülltes Gesicht zeigte nun tiefes Entsetzen. Mit einem Aufschrei sank sie in den Armen ihres Mannes zusammen.
„Sie müssen meine Frau
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