Mord am Niddaufer - ein Kriminalroman
entschuldigen. Sie ist mit den Nerven am Ende“, sagte Herr Schuster. Das Sprechen fiel ihm schwer und er war mehr als bemüht, die Contenance zu wahren. Bohlan überlegte, wie er weiter verfahren sollte. Er war in seiner langen Laufbahn schon oft der Überbringer schlechter Nachrichten gewesen, doch selten war ihm das mehr an die Nieren gegangen als jetzt. Schon der Verlust des eigenen Kindes konnte ausreichen, ein ganzes Leben zu zerstören. Die Mordumstände dieses Falles steigerten die Unerträglichkeit um ein Vielfaches.
„Hatte Ihre Tochter irgendwelche besonderen Merkmale?“
„Vor wenigen Woche hat sie sich eine Lilie auf die Schulter tätowieren lassen“, antwortete Schuster. „Warum fragen Sie?“
„Berufsneugierde. Natürlich muss es sich bei der Toten nicht um Ihre Tochter handeln“, sagte er schließlich und kam sich unglaublich albern vor. „Wir müssen einen DNA-Test machen.“
Eigentlich hatte Natascha bei den Schusters klingeln wollen, doch sie hatte sich nicht getraut. Irgendetwas hatte sie davor zurückgehalten. Normalerweise war sie nicht der schüchterne Typ. Sie ging offen auf alles zu, hatte keine Scheu, unangenehme Dinge auszusprechen. Doch an diesem Abend war das nicht möglich. Vielleicht war es eine Art Selbstschutz. Unverrichteter Dinge ging sie nach Hause und schmierte sich in der Küche zwei Brote. Danach lugte sie ins Wohnzimmer und wünschte ihren Eltern eine gute Nacht. Sie stellte die Brote in ihrem Zimmer ab, ging ins Bad, wo sie sich auszog und duschte. Dann streifte sie sich den Schlafanzug über und setzte sich an den Computer. Die Neuigkeiten auf Facebook waren schnell gelesen. Natürlich drehten sich viele Kommentare um die gefundene Leiche. Merkwürdigerweise brachte niemand den Fund mit dem Verschwinden Lea Schusters in Verbindung. Warum? War das Naheliegende wirklich unvorstellbar? Nach einiger Zeit klickte sie Facebook weg und wechselte zu ihren E-Mails. Einige Freunde hatten ihr etwas geschrieben, aber es war nichts wirklich Wichtiges dabei. Die wichtigste E-Mail hatte sie sich für den Schluss aufgehoben. Sie war von dem Mann, den sie mehr liebte als alles andere auf der Welt. Leider war die Beziehung kompliziert. Es gab noch eine andere Frau und sie konnten sich nicht so oft sehen. Aber sie schrieben sich jeden Abend und träumten von einer gemeinsamen Zukunft. Heute würde ihre E-Mail allerdings anders aussehen als üblich. Heute schrieb sie nicht von der Liebe, sondern von dem, was sie draußen beobachtet hatte. Sie schrieb von den dunklen Gefühlen und von der Angst, Lea für immer verloren zu haben. Mit niemandem sonst hatte sie über all dies gesprochen, nur er war es wert, das alles zu wissen. Es war bereits nach Mitternacht, als sie den Computer ausschaltete und sich ins Bett legte. An Schlaf allerdings war lange nicht zu denken.
Freitag
Tom Bohlan hatte schlecht geschlafen und war dementsprechend müde, als er mit einer Brötchentüte das Polizeipräsidium betrat. Gestern Abend war es spät geworden. Nach dem Besuch bei den Schusters hatten Will und er noch einige Kleidungsstücke und andere Proben im Labor abgegeben. Mithilfe dieser Dinge war ein DNA-Abgleich mit der Leiche möglich. Im Laufe des Tages würde es also Gewissheit darüber geben, ob es sich bei der Toten wirklich um Lea Schuster handelte. Obwohl Bohlan ein unverbesserlicher Optimist war, stellte er sich innerlich auf diesen Fall ein. Er hatte am Abend lange auf dem Deck seines Hausbootes gesessen, Löcher in die Luft gestarrt und Überlegungen angestellt, wie er an diesen Fall herangehen sollte. Wenn es sich bei der Toten um Lea Schuster handelte, dann galt es, ihr Leben zu durchwühlen. Es würde Befragungen in der Schule geben müssen, genauso wie in ihrem privaten Umfeld. Natürlich würde es einigen Wirbel geben und die Presse würde über jedes Detail berichten. Wenn Kinder oder Jugendliche Opfer von Gewalttaten wurden, führte das meist zu einer gewissen Hysterie in der Öffentlichkeit. Einen kleinen Vorgeschmack hatte die Pressestelle der Polizei bereits gestern erhalten, als sie im unmittelbaren Anschluss an den Leichenfund mit Anrufen schier bombardiert worden waren. Polizei und Staatsanwaltschaft hatten versucht, alles unter Kontrolle zu behalten, doch der Fund einer Leiche in unmittelbarer Nähe zum Eingang eines der größten Frankfurter Schwimmbäder war auch mit höchster Geheimhaltungsstufe nicht zu verbergen. Irgendeiner der Passanten kannte mit Sicherheit jemanden von
Weitere Kostenlose Bücher