Mord am Niddaufer - ein Kriminalroman
der Presse, wenn er nicht sogar selbst dort arbeitete. So war es keineswegs verwunderlich, dass sowohl die seriösen Zeitungen als auch das Boulevardblatt Wind von der ganzen Sache bekommen hatten. Selbst die örtlichen Rundfunkanstalten waren wenige Stunden nach dem Fund aufgescheucht. Bohlan war heilfroh, dass er einen guten Teil des gestrigen Tages außer Haus gewesen war. So war er für die Geier nicht erreichbar gewesen und alles war in der Pressestelle zusammengelaufen. Dort hatte man tatsächlich ganze Arbeit geleistet und vorgefertigte, knappe Erklärungen verfasst und stereotyp wiederholt. In wenigen Sätzen wurde der Leichenfund bestätigt. Man wisse noch nicht, um wen es sich handelte, die Leiche sei schlecht identifizierbar, es gäbe aber erste Hinweise. Der Kommissar hatte es bislang vermieden, die heutigen Ausgaben der Frankfurter Zeitungen zu lesen. Einerseits war er gespannt darauf, was die Pressefuzzis aus den wenigen Informationen gemacht hatten, andererseits schreckte ihn die Aufregung zurück, die solche Artikel ihm meist bescherten. Bohlan hatte schon immer ein gespaltenes Verhältnis zur Presse gehabt. Zwar wusste er, dass sie durchaus von Nutzen sein konnte, beispielsweise dann, wenn man einen Verdächtigen suchte und ein Bild veröffentlichen wollte. Auch bei der Aufdeckung brisanter Skandale konnte die Presse eine nützliche Einrichtung sein, ein Umstand, den Bohlan aus eigener Erfahrung kannte. Vor zwei Jahren konnte er einige Morde aufklären, die im Umfeld der Steuerfahnder-Affäre passiert waren, es blieb ihm jedoch untersagt, die Hintermänner der ganzen Geschichte zu verfolgen, weil man ihm die Kompetenzen entzogen und dem LKA übertragen hatte. Als einziges Beweisstück war ihm ein Computerstick geblieben, der dann auf mysteriöse Weise bei einem Journalisten landete, der darauf spezialisiert war, politische Skandale zu recherchieren. Wenige Monate später war es dann so weit gewesen und ein Minister hatte zurücktreten müssen. Bei diesem Gedanken fühlte Bohlan einen gewissen Stolz, wenn er auch für die Früchte seiner Arbeit niemals eine Belobigung bekommen würde, denn er hatte beschlossen, im Dunkeln zu bleiben und sein Wissen mit ins Grab zu nehmen.
Bohlan erreichte den Aufzug und fuhr zu seinem Arbeitsplatz im vierten Stock. Als er das Kommissariat erreichte, strömte ihm der Duft von frisch gebrühtem Kaffee entgegen. Ein sicheres Indiz dafür, dass zumindest einer seiner Kollegen bereits vor Ort war. Tatsächlich traf er auf Steinbrecher und Steininger, die Kaffee trinkend am Besprechungstisch saßen und die morgendliche Presse durchgingen.
„Morgen zusammen“, sagte Bohlan und legte die Brötchentüte auf den Tisch. „Und? Weiß die Zeitung mehr als wir?“
„Diesmal nicht. Die tappen ziemlich im Dunklen“, sagte Steinbrecher und konnte sich eine leichtes Lächeln nicht verkneifen.
„Lass mal sehen“, knurrte Bohlan und zog den Zeitungsstapel zu sich, während er den ersten Schluck Kaffee trank. Tatsächlich war die Berichterstattung in den seriösen Blättern recht knapp gehalten und orientierte sich an der offiziellen Erklärung der Pressestelle. Lediglich die Boulevardzeitung berichtete auf der ersten Seite über den Leichenfund und fragte in großen Lettern ‚Wer kennt die mysteriöse Tote?‘ Der Artikel las sich wie ein Schauermärchen. Kopfschüttelnd legte Bohlan die Zeitungen beiseite.
„Ist sonst irgendwas passiert?“
„Ja, der Obduktionsbericht ist schon da. Dr. Spichal muss eine Nachtschicht eingelegt haben.“
„Wunderbar, dann geht die Grusellektüre gleich weiter. Zeig mal her!“
Steininger reichte Bohlan einen Stapel Papier. „Interessant ist die Passage zur Tatwaffe. Die Gewebeschnitte sind glatt. Leichte Schneidspuren auf dem Wirbelknochen. Spichal tippt auf ein scharfes Messer. Der Todeszeitpunkt dürfte fünf bis sechs Tage zurückliegen. Wie war übrigens der Besuch bei den Schusters?“
„Den Umständen entsprechend. Hysterische Frau. Überforderter Mann. Wir haben einige Dinge mitgenommen und gleich gestern noch im Labor abgegeben. Ich denke, dass heute Morgen die Ergebnisse der DNA-Analyse vorliegen.“ Bohlan blätterte durch Dr. Spichals Akte. „Ach so, Lea Schuster hatte tatsächlich das Tattoo einer Lilie auf der Schulter.“
„Scheiße“, entfuhr es Steininger.
„Sieh es doch mal positiv: Immerhin haben wir dann in kürzester Zeit die Leiche identifiziert“, entgegnete Steinbrecher.
„Stimmt schon. Trotzdem: Eine
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