Mord am Vesuv
nicht auf so eine Idee gekommen.«
Er schüttelte resigniert den Kopf, als ob die Hinterlist, zu denen Menschen fähig sind, ihn geradezu ratlos machte. »Nein, liebe Freunde, dieser junge Barbar hatte durchaus Pläne für den fraglichen Abend. Geheime Pläne, die der Dunkelheit und der Ungestörtheit bedurften. Er hatte vor, sich im Olivenhain des Apollotempels mit Gorgo zu treffen. Ich behaupte nicht, dass er vorhatte, das Mädchen zu ermorden. Aber ich bin absolut sicher, dass er genau das getan hat: Er hat sie ermordet.«
Mit einer schwungvollen Geste entließ er Jocasta aus dem Zeugenstand und rief Diocles auf. Der alte Priester berichtete mit schmerzerfülltem Gesicht vom Tod seiner unschuldigen Tochter. Er erzählte, dass er ihr den Umgang mit Gelon untersagt und dass sie ihm versprochen hatte, dem Jungen zu verbieten, sie je wiederzusehen, und wie er, Diocles, nach Hause gekommen war und seine geliebte Tochter tot aufgefunden hatte. Die Menge hörte seinen Ausführungen mit großer Anteilnahme zu. Als er geendet hatte, dankte Vibianus ihm für seine Aussage und wandte sich erneut mir zu.
»Und jetzt, verehrter Praetor, möchte ich rekonstruieren, wie die arme Gorgo jene verhängnisvolle Nacht verbracht hat. Ihre persönliche Sklavin Charmian ist ja leider tot und kann daher nicht mehr aussagen. Doch zum Glück waren die anderen beiden Sklavinnen Gorgos in der fraglichen Nacht ebenfalls bei ihr, Gaia und Leto. Wenn ich richtig informiert bin, befinden sich die beiden Mädchen in deiner Obhut. Ich möchte sie als Zeuginnen vernehmen.«
Ich richtete mich in meinem Stuhl auf. »Du willst sie unter Folter aussagen lassen?«
Er sah mich verdutzt an. »So ist es doch üblich, oder? Ich muss einem römischen Praetor doch wohl keinen Vortrag über die Vorgehensweise vor römischen Gerichten halten. Wie es unserer Praxis entspricht, ist die Folter ja auch nicht besonders hart.«
»Ich habe die beiden Sklavenmädchen als Beweisstücke in diesem Fall beschlagnahmt«, entgegnete ich. »Die inzwischen ermordete Charmian wurde halb totgeschlagen, bevor sie aus dem Tempel geflohen ist. Die anderen beiden Mädchen befinden sich ebenfalls in einem erbärmlichen Zustand, und ich werde sie auf keinen Fall der Folter aussetzen.«
»Du widersetzt dich meinem Wunsch, sie hier aussagen zu lassen?«, fragte er mit hochgezogenen Augenbrauen.
»Ich habe mich doch klar ausgedrückt«, erwiderte ich.
»Praetor!«, schrie er. »Ich protestiere! Von Anfang an hast du für den Sohn des Sklavenhändlers Partei ergriffen, während du Diocles mit erbitterter Feindschaft begegnest! Du weigerst dich hartnäckig, die eindeutigen Beweise für Gelons Schuld zur Kenntnis zu nehmen. Anstatt ihn im städtischen ergastulum einsperren zu lassen, bringst du ihn in deinem eigenen Haus unter und gewährst ihm allen möglichen Komfort, nein, jeden nur erdenklichen Luxus, als wäre er nicht dein Gefangener, sondern ein Gast! Du hast dich widerrechtlich eingemischt, als Diocles seine Sklaven bestraft hat und im Widerspruch zu allen Gewohnheiten und Gesetzen Roms seinen persönlichen Besitz beschlagnahmt, indem du die beiden Sklavenmädchen Gaia und Leto mitgenommen hast. Du hast persönlich Zeugen aufgesucht und befragt, aber immer nur auf der Suche nach entlastenden Aussagen, nie nach Beweisen für Gelons Schuld. Und jetzt widersetzt du dich als Vorsitzender dieses Gerichts meinem Wunsch, die beiden Sklavenmädchen in den Zeugenstand zu berufen und sie aussagen zu lassen! Wir haben ausreichende Gründe, Praetor, dich in Rom wegen Korruption anzuklagen!«
Die Menge hielt kollektiv den Atem an. So spannende Unterhaltung wurde den Leuten nicht alle Tage geboten! Ich stemmte mich aus meinem kurulischen Stuhl hoch und war so aufgebracht, dass mir vor Wut schwindlig war. »Pass bloß auf, Vibianus! Ich habe nicht schlecht Lust, dich auspeitschen zu lassen!«
»Römische Bürger dürfen nicht ausgepeitscht werden«, stellte er überheblich fest.
»Jener Metellus Celer, von dem du soeben gesprochen hast, hatte den Ruf, genau das anzuordnen«, entgegnete ich bestimmt.
In diesem Moment mischte Tiro sich besänftigend in unseren Disput ein. »Praetor, bitte setz dich wieder hin. Deine Gesichtsfarbe sieht nicht gut aus. Wir wollen dich wirklich nicht durch einen Schlaganfall verlieren.«
»Tu, was er sagt!«, zischte Julia.
Langsam, die Augen fest auf Vibianus gerichtet, ließ ich mich in meinen Stuhl zurücksinken. »Du hast lange genug geredet,
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