Mord am Vesuv
Vibianus. Bitte, Tiro, du bist wieder an der Reihe.«
Mit einem triumphierenden Grinsen stolzierte Vibianus in seine Ecke zurück. Er hatte nicht nur eine erstklassige Anklage vorgetragen, sondern mich auch völlig aus der Fassung gebracht und vermutlich die meisten Anwesenden davon überzeugt, dass ich ein korrupter, bestechlicher Magistrat war. Da fast alle Vorsitzenden römischer Gerichte korrupt und bestechlich waren, bedurfte es dazu allerdings keiner außergewöhnlichen Überzeugungsarbeit. Die Sache sah wirklich schlecht aus. Nicht nur für Gelon, sondern auch für mich selbst.
Tiro legte sich voller Inbrunst ins Zeug, was mir ein wenig Zeit verschaffte, mich wieder zu beruhigen. Klugerweise verzichtete er darauf, Jo-casta oder irgendwelche anderen Zeugen aufzurufen. Sie hatten ohnehin nichts Entlastendes für Gelon vorzubringen. Stattdessen prangerte er Vi-bianus' Beweisführung als brüchig und trügerisch an und nahm jedes einzelne der vorgebrachten Argumente mit ciceronischem Sarkasmus auseinander. Nach streng juristischen Maßstäben trug Tiros Beweisführung nicht viel zur Aufklärung der Sache bei, aber Italier und Griechen haben eloquente Reden schon immer höher geschätzt als logische Argumente. Er endete mit einer weiteren Kaskade wüster Schmähungen.
Dann war Vibianus noch einmal an der Reihe. Er bediente sich überwiegend abgegriffener Standardfloskeln, aber er platzierte sie so überlegt und setzte sie so virtuos und geistreich aneinander, dass ich mich beinahe von seinem Auftritt mitreißen ließ. Als beide Anwälte ihre Plädoyers beendet hatten, erhob ich mich und wandte mich den Geschworenen zu.
»Bürger Baiaes!«, rief ich. »Ich mache nun von meinem Recht Gebrauch, mich mit ein paar Bemerkungen an die Geschworenen zu wenden. Das ist zwar unüblich, aber ich bin der Ansicht, dass wir es hier mit einem außergewöhnlichen Fall zu tun haben, bei dem es jede Menge ungeklärter Fragen gibt und in dem zu viel Schuld auf die Schultern eines einzigen unglückseligen Mannes geladen wird, nämlich auf die Schultern Gelons, des Sohnes des Sklavenhändlers Gaeto.
Zunächst einmal ist er zwar eines Mordes angeklagt, doch in Wahrheit haben wir es mit einer ganzen Reihe von Morden zu tun, die alle miteinander in Verbindung stehen. Der Mord an Gorgo bildete nur den Anfang. Kaum war Gelon wegen dieser Tat in meinem Gewahrsam, da wurde sein Vater getötet. Dieses Verbrechen kann Gelon nicht begangen haben. Danach wurde Charmian getötet, die einzige mögliche Zeugin des Mordes an ihrer Herrin Gorgo. Auch diesen Mord kann Gelon nicht begangen haben. Schließlich wurde auch noch Quadrilla umgebracht, die Frau des duumvir Silvanus. Inwiefern ihr Tod mit den anderen Morden in Verbindung steht, wissen wir nicht, aber sie wurde in der gleichen, äußerst ungewöhnlichen Weise erstochen wie Gaeto. Auch diesen Mord kann man nicht Gelon anlasten. Nach den Ausführungen des gelehrten, erhabenen und eloquenten Anwalts Vibianus zögere ich fast, noch einmal auf den Banditenüberfall zu sprechen zu kommen, aber ich muss hier zur Kenntnis bringen, dass einer der Banditen auf dem Pferd geritten ist, das auch der Mörder von Gorgo und Gaeto benutzt hat.« Ich sah mich um und warf einen Blick auf Julia, die abfällig mit den Schultern zuckte. Sie hielt nicht viel von dieser Erkenntnis. Aber egal, man kann nicht mehr nehmen, als man hat.
»Dieses Pferd war eine nach römischer Art beschlagene Stute, ein Pferd also, das niemals von einem Numider geritten würde.
Und es war Teil der Entlohnung, mit der die Banditen für den Überfall bezahlt wurden!« In der Menge erhob sich ein allgemeines Gemurmel, offenbar hatte ich sie mit dieser Enthüllung beeindruckt. Nicht so leider die Geschworenen, die ausgesprochen skeptisch dreinschauten.
»Und dann habe ich noch ein Beweisstück, das wir meiner Meinung nach unbedingt zur Kenntnis nehmen sollten, bevor die Geschworenen sich zu ihren Beratungen zurückziehen.« Ich gab Hermes ein Zeichen, woraufhin er die Schriftrolle unter seiner Tunika hervorzog und mir reichte. Ich hielt sie hoch in die Luft.
»Dies ist das Testament von Gaeto dem Numider!«, rief ich.
»Wie es in dieser Gegend üblich ist, war es zur Aufbewahrung in Cu-mae im Tempel der Juno der Beschützerin hinterlegt. Ich habe es für diesen Prozess als Beweisstück angefordert und selber noch nicht gelesen. Wie ihr alle mitbekommen habt, wurde es mir erst an diesem Morgen von einem Boten überbracht. Wie jedermann
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