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Mord an Bord: Roman (Allemand) (German Edition)

Mord an Bord: Roman (Allemand) (German Edition)

Titel: Mord an Bord: Roman (Allemand) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hera Lind
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Briefmark erlebte
    Was Schönes, bevor er klebte.
    Er war von einer Prinzessin beleckt.
    Da war die Liebe in ihm erweckt.
    Er wollte sie wiederküssen,
    Da hat er verreisen müssen.
    So liebte er sie vergebens.
    Das ist die Tragik des Lebens!«
    Er war wirklich perfekt präpariert, der alte Knabe. Strophe um Strophe spulte er seine Verse ab, aber außer dem dicken Lektor zeigte niemand Regung. Ich klatschte höflich, als er fertig war.
    Inzwischen waren noch ein paar Gestalten lustlos hereingekommen und hatten sich irgendwo hingelümmelt. Schließlich schienen alle dazusein, die Künstlerbesprechung konnte beginnen.
    Der Kreuzfahrtdirektor, der sich durch ein weißes Hemd mit vier goldenen Streifen auswies, erschien mit einer guten halben Stunde Verspätung in der Eisentür. Er baute sich vor mir auf, und ich wollte ihm schon erfreut die Hand reichen, als er sprach: »Sie sitzen auf meinem Platz!«
    Ich sprang peinlich berührt auf. »Entschuldigung«, rang ich mir ab, »das konnte ich nicht wissen, und keiner hat’s mir gesagt!« Ich hockte mich auf die Armlehne des Sessels, in dem der Professor saß. Der sprang sofort auf, um mir seinen Platz anzubieten, worauf der Sessel mitsamt meiner Wenigkeit zur Seite kippte. Nun bleiben Sie doch sitzen! Diese alten Kavaliere bringen einen immer wieder in höchste Verlegenheit!
    Der Kreuzfahrtdirektor kramte eine Marlboro aus der Hemdtasche und zündete sie an. »Wir sind hier auf einem Fünfsterne-schiff«, sagte er, ohne jemanden anzublicken. »Und wir sind nicht zum Vergnügen hier.«
    Alle sahen betreten zu Boden. Das hatte ich ja auch schon festgestellt, daß hier niemand zum Vergnügen war. Schade eigentlich. Man hätte soviel Spaß haben können!
    »Ich muß euch noch mal bitten, abends nicht in Horden in die Bar einzufallen, immer den Passagieren den Vortritt zu lassen, in den Ausflugsbussen nur hinten zu sitzen, am Buffet zu warten, bis die Paxe sich bedient haben, grundsätzlich die Liegestühle und die Plätze in den Restaurants den Paxen zu überlassen und natürlich höflich und nett zu ihnen zu sein. Wenn euch einer bittet, was zu singen oder einen Handstand zu machen oder mal eben was zu zaubern oder was Bestimmtes auf dem Klavier zu spielen, dann MACHT ihr das. Ihr seid hier IMMER im Dienst, klar?«
    »Wir konnen abends auf Deck drrai alle geschlossen antreten, und jemand spritzt uns mit dem Wasserschlauch sauber, dann mussen wir kaine Duschen benutzen«, höhnte der amerikanische Tenor Anthony Dusseldorfer. »Wir konnen auch alle zusammen auf Deck drrai aus eine Plastikschussel essen, und wir konnen in Motorraum in Hängematten schlafen, immer abwechselnd, dann brauchen wir keine Kabinen!«
    Ich blickte betroffen zwischen den erregten Künstlern hin und her. Hier schien echt dicke Luft zu sein!
    »So, wir haben ein paar Neue an Bord«, das Vierstreifenhorn blätterte in seinen Unterlagen, »und ich stelle euch am besten alle einmal vor.«
    Das fand ich auch angebracht. Wie hätte ich sonst unter den ungepflegten, gelangweilt blickenden Gestalten, die rauchend oder an ihren Nägeln knibbelnd auf der Erde saßen, jemanden erkennen können? Gestern abend auf der Bühne waren sie alle strahlend schöne Götter und Göttinnen gewesen!
    »Zuerst stelle ich euch mal die Weltreisenden vor«, sagte der Kreuzfahrtdirektor. »Die sind ein ganzes Jahr an Bord.«
    Aha, dachte ich, die Lebenslänglichen. Schrecklich. Die Armen.
    »Stellen Sie sich erst mal selbst vor!« sagte eine kecke Dünne mit kurzem Leder-Mini.
    Donnerwetter, dachte ich. Die hat Mut.
    Der Kreuzfahrtdirektor grinste und entblößte eine Reihe auffallend gleichmäßiger Zahnkronen. »Fred Hahn.«
    O Gott. Ich hatte es geahnt. Hahn im Korb. So sah der auch aus. Wie die Ballettratten ihn anhimmelten! Aber er hatte was Markiges in der Stimme. Und die Art, wie er rauchte: echt männlich. Ich versuchte, ihn nicht weiter anzustarren. Ich konzentrierte mich auf die Weltreisenden. Die Verhungerte gehörte dazu, sie hieß Natascha, wie sonst, das war reine Lautmalerei. Wenn sie abends mit ihrem seidenen Fähnchen durch den Speisesaal wehte, zerriß sie die Luft mit Geräuschen wie »Natascha! Natascha!«. Sie kam vom Theater des Ostens in Berlin. Der Zauberer erwies sich als ihr Ehemann, aber die beiden machten keinen glücklichen Eindruck. Er hieß Rudi und war außerdem Croupier im Spielcasino. Eine nette rundliche Dame mit kinnlangem Mutti-Schnitt hieß Mareike und war die Kindergärtnerin an Bord.

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