Mord an Bord: Roman (Allemand) (German Edition)
Stuhlreihen zusammengekauert vor sich hin schnarchten. Ich nannte diesen Ort der Dunkelfolter heimlich »Gähno«.
Ich mochte den guten alten Professor Weißenreim, hatte er doch als einer der ganz wenigen Gestalten hier ein keckes Strahlen in den Augen. Außerdem trafen wir uns jeden Morgen um sieben in der Folterkammer am Heck. Er strampelte sich auf seinem Fahrrad ab, das sich keinen Millimeter von der Stelle bewegte, und ich trappelte wie ein Hamster über ein Laufband. Der Schweiß rann mir dabei nur so über Stirn und Schläfen, denn es war unerträglich schwül in der Folterkammer, und kein Lüftchen regte sich. Ab und zu schaute schlitzäugig ein Handtuch-Vietnamese durchs Bullauge herein, oder man sah einen Koch oder einen Steward geschäftig draußen vorbeihuschen. Sonst sah man nichts. Nichts als den unendlichen blauen Ozean. Der Schweiß des Professors war angereichert mit Wort- und Silbenfetzen von Ringelnatz, Kästner, Tucholsky, Heinz Erhardt und allerlei zeitgenössischen Humoristen. Meiner enthielt puren konzentrierten Alkohol.
Als ich in meine Kabine kam, lag da ein Zettel auf dem Bett: »Heute abend Künstlerbesprechung auf der Empore des ›Fürst-Rainier-Saales‹, Eingang Deck sieben.« Ich war gespannt. Klar hatte ich die anderen Künstler schon gesehen, einige sogar auf der Bühne erlebt. Aber nun wurde es offiziell. Ich überlegte. Feinmachen? Bloß nicht overdressen. Das wäre peinlich und würde mir bei den anderen Sträflingen nur Hohn und Spott einbringen. Für so eine Künstlerbesprechung reichte vielleicht die weiße Jeans mit dem blau-weiß gestreiften Body.
Um Punkt 18 Uhr schob ich mich durch die schwere Eisentür auf Deck sieben und betrat die Empore des »Fürst-Rainier-Saales“, eines prachtvollen, prunkvollen Raumes, an dessen kunstvoll bemalter Decke ein riesiger Kronleuchter hing. Bei schwerem Seegang baumelte der über den Köpfen der Sträflinge gefährlich knarrend hin und her, was sicherlich zur weiteren Einschüchterung und psychischen Entkräftung der Gefangenen beitrug.
In einer brokatenen Sitzecke neben der Künstlerbar lümmelten schon einige Gestalten.
»Hallo“, sagte ich und ließ mich auf das Sofa fallen.
Als meine Augen sich an die Dunkelheit gewöhnt hatten, gewahrte ich den Zauberkünstler mit dem proletenmäßigen Sascha-Schwänzchen im Nacken, ein paar Ballettratten, die sich auf dem weinroten Teppichboden die Glieder verrenkten, meinen alten Freund Professor Weißenreim, den kleinwüchsigen Tontechniker, der während der Shows hinten in der Regie immer an irgendwelchen Knöpfen herumdrehte, und einige andere Typen. Niemand sagte ein Wort. Man saß nur so da und starrte sich an. Wer mochte hier zuständig sein? Ich lächelte aufmunternd in die Runde. Gab es einen Moderator oder ein Frollein, das uns alle miteinander bekannt machte? Oder sollten wir das selber tun?
Die Tür öffnete sich wieder, und herein schlängelte sich die verhungerte Lebenslängliche, die allabendlich kopfüber an einem Reck aufgehängt wurde. Ich hätte ihr gern gesagt, wie sehr ich sie dafür bewunderte, daß sie an den nackten Hacken über den gedeckten Tischen baumeln konnte, ohne in die Saucenschüsseln zu fallen, aber ich hatte den Eindruck, daß sie an keiner Konversation interessiert war. Gelangweilt verdrehte sie die Augen und kaute mit offenem Mund auf einem Kaugummi herum.
Dann nahte der dickliche Lektor Peer-Holger Kowalski. Er war der erste, der etwas sagte. »Na?!« schnarrte er, während er sich ächzend in einem samtüberzogenen Sessel niederließ. »Was gibt’s Neues?!«
Keiner antwortete ihm. Wahrscheinlich gab es nichts Neues. Ich wollte nicht vorlaut sein und sagen: »Mich«, denn ich war hier ganz offensichtlich die Neue.
Der Professor begann, ein paar Ringelnatz-Verse zu rezitieren:
»An einem Teiche
Schlich eine Schleiche,
Eine Blindschleiche sogar.
Da trieb ein Etwas ans Ufer im Wind.
Die Schleiche sah nicht, was es war,
Denn sie war blind.
– – – –
Das dunkle Etwas aber war die Kindsleiche
Einer Blindschleiche.«
»Geil«, sagte der proletenhafte Zauberer.
»Hahaha“, kaute die Ausgehungerte ihren Kaugummi.
»Du kannst ja mal ‘ne Blindschleiche aus deinem Hut zaubern«, regte der dicke Lektor mit der hohen Stimme an.
»Du kannst ja mal ‘ne Blindschleiche aus deiner Hose zaubern«, erwiderte der Zauberer unfein.
Ich schaute ratlos von einem zum anderen.
Der Professor gab ein weiteres Gedicht zum besten:
»Ein männlicher
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