Mord an Bord: Roman (Allemand) (German Edition)
hatte. Das mich mit schöner Regelmäßigkeit zu Nervenzusammenbrüchen getrieben hatte, die meine Familie und mich zur Verzweiflung nötigten. Ich liebte meine Kinder und meinen Mann, aber im Prinzip konnte ich mich durchaus auch als unbeteiligter Beobachter sehen, wenn es um ihre Belange ging.
Ich hatte Jahre dafür gesorgt, dass es ihnen gutging; dass sie ihre Unterhosen dort fanden, wo man sie finden sollte. Dass sie genug zu essen auf dem Tisch hatten; dass sie offene Arme fanden, wenn sie es brauchten. Ich gab ihnen die Liebe, die sie suchten, und ich ging dabei drauf.
Und dann begegnete ich Trinchen.
2. Kapitel
Tilda
Da, wo ich ursprünglich herkommen tue , spricht man so. Da, wo ich geboren und aufgewachsen bin, ist ein Trinchen die Verniedlichung einer Trine , was wiederum eine Verballhornung einer Träne ist, die keine Träne im üblichen feuchten Sinne ist. Ganz früher, also so im Mittelalter, war eine Träne eine Kuh. Die sprachliche Entwicklung hat daraus eine Frau gemacht, die in einigen Dingen etwas – nun, sind wir höflich – begriffsstutzig ist. Wenn man dieser Frau etwas noch Netteres tun will, dann nennt man sie halt Trinchen. Dass mein Trinchen auch einen realen Namen hatte, ist selbstverständlich. Doch meistens – nämlich immer dann, wenn sie zu meinem Weinvorrat dackelte, meine unendlichen Vorräte an Kleenex zunichtemachte – nannte ich sie zärtlich, beinahe mit mütterlicher Fürsorge, mein Trinchen. Dabei hätte man ihr diese Fehlstellung ihres Charakters auf den ersten Blick gar nicht zugetraut.
Tilda Menzel, 40 Jahre, 178 cm groß, 65 Kilogramm leicht, war und ist auch heute noch das, was Männern den Geifer aus den Mundwinkeln laufen lässt. Rothaarig, ihr Gesicht von vornehmer Blässe gezeichnet, ein Mund, der kirschrot leuchtet, eine Figur wie eine 18-Jährige, selbstbewusst, selbständig und beruflich ohne Quote so erfolgreich, dass sie sich ihr Singledasein leisten konnte. Ein Busen, der Frau den blassen Neid ins Gesicht trieb, ein Hintern wie gemalt und gemeißelt, der Mann mit hochrotem Kopf in peinliche Situationen brachte, wenn er erklären musste, dass das dort in seiner Hosentasche nur das Handy war. Tilda war immer auf der Suche nach dem Mann. Und mit schöner Regelmäßigkeit verursachte diese Suche bei ihr Anfälle von akuter Heulsucht. Meistens dann, wenn sie wieder einmal feststellen musste, dass guter Sex nicht gleichbedeutend mit Mann – zum Heiraten war.
Tilda hatte in dieser Hinsicht ein nicht ganz unbedeutendes Problem: ihr Beuteschema. Als ich dieses Vollweib kennenlernte, war ich noch verheiratet und so sehr mit mir beschäftigt, dass mir jede Frau, die anscheinend hatte, was mir nicht vergönnt war, den Neid ins Gesicht trieb. In dieser Beziehung war ich der Mode ein paar Jahre voraus. Grün stand mir gut. Leider zu gut. Es brauchte ein paar Monate, unzählige geleerte Flaschen Rotwein, bis ich feststellte, dass es Tilda im Prinzip nicht anders ging als mir. Gut: Ich hatte guten Sex, denn auch wenn ich mit meinem Leben ansonsten unzufrieden war, der Sex war immer zu beiderseitiger Zufriedenheit. Zumindest körperlich. Den Rest habe ich ja bereits erklärt.
Tilda hingegen musste bei ihrer Suche nach Mr. Perfect nicht nur die Spreu vom Weizen trennen. Ihre Auffassung, dass ein potenzieller Ehemann gewisse Fähigkeiten im Bett haben musste und diese – bitte schön – auch nicht nach der Trauung ablegen sollte und durfte, machte es ihr beinahe unmöglich, genau diesen Mann zu finden. Zu sehr stand sie sich mit ihrer romantischen Auffassung selbst im Weg. Zu schnell wollte sie einfach alles. Und dann passierte meist genau das, was sie eigentlich mit ihren Testphasen zu vermeiden suchte: Sie verliebte sich, der Sex wurde schlecht, der Mann in seinem Verhalten ihr gegenüber sowieso, und sie stand wieder heulend am Anfang. Oder am Ende. Je nach Betrachtungsweise.
In dieser Zeit verpasste ich ihr den Spitznamen Trinchen. Sie war einfach begriffsstutzig, was Männer anging. Diese Frau, welche die Intelligenz besaß, mal eben locker die gesamte Weltwirtschaftskrise aus dem Handgelenk geschüttelt zu lösen, wollte nicht von ihrem Beuteschema abweichen und zunächst einmal nur genießen. Auch wenn sie beinahe gebetsmühlenartig versicherte, dass sie ja eigentlich, vor allem wirklich und wahrhaftig nur auf den körperlichen Genuss aus war. Sie verliebte sich, und das war so sicher wie das Amen in der Kirche. Sobald sie diesen Punkt auf ihrer persönlichen
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