Mord an Bord: Roman (Allemand) (German Edition)
Kleidung. Sie trugen, wenn überhaupt, Lendenschurze oder waren in unförmige Kittel gehüllt, was bei ihren ausladenden Körperformen nicht immer ein schöner Anblick war. Ich sah mich um. Welch unvorstellbares Grauen! In einem der Liegestühle döste Wollsocken-Gangster vor sich hin. Ich nannte ihn so, weil er seinen rechten Arm in einem riesigen weißen Wollsocken untergebracht hatte. Vielleicht hatte er die Krätze oder einen Holzarm, vielleicht war er auch tätowiert, was ihm im nachhinein peinlich war. Jedenfalls wollte Wollsocken-Gangster seinen Arm nicht zeigen. Niemals. Auch nicht abends beim Antreten zum Essenfassen. Oder morgens, beim Appell. Zeigen wollte Wollsocke aber durchaus seine schweren Ketten, die ihm um den Hals hingen. Sie baumelten vor seinem dicklichen weißen Bauch. Auch seine Handschellen waren furchterregend anzusehen: dicke silberne Eisen, zum Teil mit Uhren dran – schrecklich. Er gehörte zu den Lebenslänglichen, das tuschelte man sich zu. Die Lebenslänglichen blieben nicht nur für eine oder zwei Reisen auf dem Sträflingsschiff, sondern waren dazu verurteilt, den Rest ihres Lebens hier zu verbringen! Was mußten sie angestellt haben, daß ihnen diese Strafe auferlegt worden war!
Zwischen den Pritschenreihen war ein Wasserschacht vom Ausmaß einer Garage eingelassen. In diesem dümpelten einige weibliche Gefangene, die wegen ihrer Gumminoppenhauben wie Teichhuhnweibchen aussahen, vor sich hin. Hinten, an der Bar, dumpften drei Gefangene, festgekettet an ihren Barhockern, dem Delirium entgegen. Einer von den drei Dumpfbacken hieß Rudolf, das hatte er mir gestern bierdunstgeschwängert ins Ohr geraunt. Rudolf, gestern abend noch im Smoking, rasiert und gekämmt, mit einer Nelke im Knopfloch und tadellosen Manieren, hing heute mit »Ich-bin-ein-Tourist«-Käppi und faltenwerfendem Oberkörper an der Bar ab. Seine Füße, die mich gestern noch in tadellos geputzten schwarzen Lackschuhen über das Parkett gewirbelt hatten, steckten nun in hühneraugenfreundlichen Reformhauslatschen. Seit einer Stunde versuchte Rudolf, mich an die Bar zu locken. Ich war aber nicht willens. Ich war doch erst drei Tage hier. Warum sollte ich mich sofort dem ersten besten Gefangenen unterwerfen? Rudolf blickte mehrmals zu mir rüber. »Am Schluß kriege ich dich noch!« rief er halblaut über die Meute der Mitgefangenen hinweg. Mich schauderte. Er duzte mich einfach so! Wahrscheinlich war es nicht Brauch, auf einem Strafgefangenenschiff »Sie« zueinander zu sagen. Er hatte mich regelrecht angebaggert! Dabei war Rudolf mit Gattin zum Strafvollzug! Inzwischen waren sie auf ihren spartanischen Latschen mit letzter Kraft über die Holzplanken in ihre Zellen gewankt. Karge, enge Verliese waren das, mit erschreckend wenig Marmor im Bad und kaum goldenen Wasserhähnen, die Betten wurden höchstens einmal pro Tag frisch bezogen, die Blumen kaum gewechselt, und abends fand man höchstens drei bis vier Champagnertrüffel auf seinem erbärmlichen Kopfkissen vor. Ein Jammerleben! Ich konnte mir nicht vorstellen, daß die geschwächten Sträflinge es nun lustvoll miteinander trieben. In so einer Atmosphäre konnte sich einfach keine Fleischeslust entfalten.
Ich schaute mich weiter um. Hinten im Schatten an der Wand lag diese unförmige Diseuse, die gestern abend »Ich bin von Kopf bis Fuß auf Liebe eingestellt« ins Mikro tremoliert hatte. Hinten im Nacken war sie glattrasiert wie ein Wildschwein, vorne hing ein fettiges Pudellöckchen, das aussah, als hätte sie es .sich mit Uhu über das linke Auge geklebt. Ihre weißen Massen zwängte sie anscheinend gern in viel zu eng sitzende Zwanziger-Jahre-Leberwurst-Ensembles, aus denen ihre labberigen Oberarme quollen. Mut zur Häßlichkeit schien sie zu haben. Daß sie von Kopf bis Fuß auf Liebe eingestellt war, vermochte man auf den ersten Blick gar nicht zu glauben. Dabei hatte sie so einen süßen Klavierbegleiter in ihrer Begleitung! Einen goldigen, schnuckeligen Kerl, der, rein optisch, ihr Sohn hätte sein können! Sie hatte mich aber gleich wissen lassen, daß es sich bei »Lars« um ihren Lebensgefährten handelte. Ich taufte ihn »Lars-Dars« im Sinne von »Laß das!« und hakte ihn innerlich ab. Ich seufzte. Welch eine trostlose Zeit lag vor mir! Rüdiger hatte mich ja gewarnt. »Geh nicht auf dieses Schiff!« hatte er gesagt. »Du kommst da mit Leuten zusammen, die sind nicht gut für dich!« Sollte er etwa recht behalten? Dabei hatte ich mich so auf diese
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