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Mord auf der Leviathan

Mord auf der Leviathan

Titel: Mord auf der Leviathan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris Akunin
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hat! Denn was ergibt sich? Alle Verbrechen werden doch mit den Händen verübt, oder? Nun stellt sich heraus, daß Hände nicht schlechter Informationen liefern können als bezahlte Spitzel! Und wenn man erst bei allen Dieben und Banditen die Fingerchen kopiert hat, werden sie es nicht mehr wagen, mit ihren dreckigen Pfoten ein krummes Ding zu drehen! Dann hat die Kriminalität ein Ende.
    Bei solchen Aussichten konnte einem der Kopf schwirren.

REGINALD MILFORD-STOKES
     
     
    2. April 1878
    18 Uhr 34,5 Minuten Greenwicher Zeit
     
    Meine kostbare Emily,
    heute sind wir in den Suezkanal eingelaufen. In meinem gestrigen Brief habe ich Ihnen eingehend die Geschichte und Topographie von Port Said geschildert, und jetzt kann ich es mir nicht versagen, Ihnen etliche interessante und erbauliche Auskünfte über den Großen Kanal mitzuteilen, dieses grandiose Bauwerk menschlicher Hände, das im kommenden Jahr sein zehnjähriges Bestehen feiert. Ist Ihnen bekannt, meine liebe und vergötterte Gattin, daß der jetzige Kanal der vierte ist und der erste schon im vierzehnten Jahrhundert vor Christi Geburt unter dem großen Pharao Ramses gegraben wurde? Zur Zeit des Niedergangs des ägyptischen Reiches wehten die Wüstenwinde das Kanalbett mit Sand zu, aber unter dem Perserkönig Darius, 500 vor Christus, schaufelten Sklaven einen neuen Kanal, der 120   000 Menschenleben forderte. Herodot schreibt, daß die Fahrt durch den Kanal vier Tage dauerte und daß zwei entgegenkommende Galeeren aneinander vorbeikamen, ohne daß die Ruderreihen sich berührten. Mehrere Schiffe der zerschlagenen Flotte Kleopatras konnten sich durch den Kanal ins Rote Meer retten und sich dem Zorn des grimmen Octavian entziehen.
    Nach dem Zerfall des römischen Imperiums trennte wieder
eine hundert Meilen lange Wand aus Treibsand den Atlantik vom Indischen Ozean, doch kaum hatten die Nachfolger des Propheten Mohammed in dieser unfruchtbaren Gegend einen starken Staat geschaffen, griffen die Menschen erneut zu Hacken und Spaten. Ich fahre hier vorbei an toten Salzböden und endlosen Wanderdünen und werde nicht müde, mich an der sturen Tapferkeit und der emsenhaften Mühsal des menschlichen Stammes zu begeistern, der einen unendlichen, unweigerlich zum Scheitern verurteilten Kampf gegen den allmächtigen Chronos führt. Zweihundert Jahre lang befuhren Getreideschiffe den Kanal, dann wischte die Erde die jämmerliche Falte von ihrer Stirn, und die Wüste sank in tausendjährigen Schlaf.
    Der Vater des neuen Suezkanals war leider kein Brite, sondern der Franzose Lesseps, liebe Emily, ein Vertreter der Nation, für die ich eine tiefe und vollauf gerechtfertigte Verachtung empfinde. Dieser umtriebige Diplomat überredete den ägyptischen Vizekönig, einen Ferman über die Gründung der Suezkanal-Gesellschaft auszufertigen. Diese erhielt das Recht, die neue Wasserstraße auf 99 Jahre zu pachten, während der ägyptischen Regierung nur 15% der Einkünfte zugebilligt wurden! Und diese schäbigen Franzosen wagen es noch, uns Briten als Plünderer der rückständigen Völker zu bezeichnen! Zumindest haben wir unsere Privilegien mit dem Degen erkämpft, nicht aber schmutzige Geschäfte mit habgierigen einheimischen Beamtenseelen gemacht.
    1 600 Kamele brachten jeden Tag Trinkwasser für die Arbeiter, die den Großen Kanal gruben, aber die Ärmsten starben gleichwohl zu Tausenden an Durst, Hitze und ansteckenden Krankheiten. Unsere »Leviathan« schwimmt sozusagen über Leichen, und ich sehe im Sand zähnebleckende Schädel mit leeren Augenhöhlen. Es dauerte zehn Jahre und kostete fünfzehn Millionen Pfund Sterling, dieses grandiose Bauwerk zu vollenden.
Dafür legt ein Schiff die Strecke von England nach Indien jetzt in der halben Zeit zurück. Fünfundzwanzig Tage, und man ist in Bombay. Unglaublich! Die Kanaltiefe beträgt mehr als 100 Fuß, so daß selbst unsere Riesenarche nicht befürchten muß, auf eine Sandbank aufzulaufen.
    Heute beim Mittagessen mußte ich so lachen, daß ich mich an einer Brotkruste verschluckte, ich hustete und konnte das Lachen dennoch nicht bezwingen. Unser kläglicher Fant Regnier (ich schrieb Ihnen von dem Ersten Offizier der »Leviathan«) fragte mich mit geheuchelter Teilnahme nach dem Grund meiner Heiterkeit, da mußte ich noch mehr lachen. Ich konnte ihm ja nicht gut sagen, welcher Gedanke mich so belustigt hatte. Den Kanal haben die Franzosen gebaut, aber die Früchte ernten wir Engländer. Vor drei Jahren hat die Regierung

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