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Mord auf der Leviathan

Mord auf der Leviathan

Titel: Mord auf der Leviathan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris Akunin
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Heimat, die letzte Etappe siebenjähriger Prüfungen, so schwierig sein würde?
    In Frankreich konnte ich wenigstens meine Nahrung in Einsamkeit zu mir nehmen, konnte meine Spaziergänge und die
Natur genießen. Hier auf dem Dampfer dagegen komme ich mir vor wie ein Reiskorn, das irrtümlich in eine Schüssel Nudeln geraten ist. Sieben Jahre habe ich unter rothaarigen Barbaren gelebt und mich nicht an einige ihrer scheußlichen Gepflogenheiten gewöhnen können. Wenn ich sehe, wie die überfeinerte Kleber-san mit dem Messer ein blutiges Beefsteak zerschneidet und sich hinterher mit dem rosigen Zünglein die geschminkten Lippen leckt, wird mir schlecht. Und dann diese englischen Waschbecken, deren Abfluß man mit einem Korken verschließt, so daß man sich das Gesicht mit schmutzigem Wasser waschen muß! Und die alptraumhafte, von einem perversen Geist erfundene Kleidung! Darin fühlt man sich wie ein in Ölpapier gewickelter Karpfen, der auf Kohlenglut geröstet wird. Am meisten hasse ich die gestärkten Kragen, von denen man roten Ausschlag am Kinn bekommt, und die Lederschuhe, die Folterwerkzeuge sind. Mit dem Recht des wilden Asiaten erlaube ich mir, in einem leichten Yukata an Deck zu spazieren, doch meine unglücklichen Tischnachbarn schwitzen von früh bis spät in ihrer Kleidung. Meine sensible Nase leidet sehr unter dem scharfen, fettigen Geruch des europäischen Schweißes. Entsetzlich ist auch die Gepflogenheit der Rundäugigen, sich in Taschentücher zu schneuzen, diese mit dem Rotz wieder in die Tasche zu stecken, sie erneut hervorzuholen und nochmals zu benutzen. Zu Hause wird man mir das nicht glauben, sondern denken, ich hätte mir das ausgedacht. Sieben Jahre sind eine lange Zeit. Vielleicht tragen die Damen bei uns inzwischen auch schon die lächerlichen Turnüren auf dem Hintern und humpeln stolpernd auf hohen Absätzen. Es wäre interessant, Kyokosan in solchem Aufputz zu sehen. Sie ist ja schon groß, dreizehn Jahre. Ein-zwei Jährchen noch, dann wird man uns verheiraten. Vielleicht auch schon früher. Wenn ich nur bald zu Hause wäre!
    Heute ist mir das Erlangen der seelischen Harmonie besonders schwergefallen, weil
    1. ich entdeckte, daß aus meiner Reisetasche mein bestes Instrument verschwunden ist, mit dem sich selbst der dickste Muskel leicht durchtrennen läßt. Was mag dieser seltsame Raub bedeuten?
    2. ich nach dem Mittagessen erneut in eine demütigende Lage geriet, noch deprimierender als nach meinen Worten über Karl den Kühnen (s. gestrige Aufzeichnung). Fandorin-san, der sich nach wie vor sehr für Japan interessiert, befragte mich nach dem Bushido und den Samuraitraditionen. Das Gespräch kam auf meine Familie und meine Vorfahren. Da ich mich als Offizier vorgestellt hatte, erkundigte sich der Russe nach der Bewaffnung, den Uniformen und dem Reglement der kaiserlichen Armee. Das war entsetzlich! Als sich herausstellte, daß ich noch nie vom Berdangewehr gehört hatte, sah Fandorin-san mich sehr seltsam an. Er ist sicherlich zu dem Schluß gekommen, in der japanischen Armee dienten komplette Ignoranten. Vor Scham vergaß ich die Höflichkeit und lief aus dem Salon, was alles noch ärger machte.
    Ich konnte mich lange nicht beruhigen. Zuerst stieg ich hinauf zum Bootsdeck, wo die Sonne am heißesten brennt und es daher menschenleer ist. Ich entkleidete mich bis auf das Lendentuch und übte mich eine halbe Stunde lang in der Schlagtechnik Mawashi-giri. Als ich die nötige Kondition erlangt hatte und die Sonne mich rosa dünkte, nahm ich den Zazen-Sitz ein und versuchte vierzig Minuten zu meditieren. Erst danach zog ich mich wieder an und ging nach achtern, um eine Tanka zu schreiben.
    Alle diese Übungen halfen. Ich weiß jetzt, wie ich mein Gesicht wahren kann. Beim Abendessen werde ich Fandorin-san sagen, daß es uns verboten ist, mit Ausländern über die kaiserliche Armee zu sprechen und daß ich aus dem Salon gelaufen
bin, weil ich schrecklichen Durchfall habe. Ich meine, das klingt überzeugend, und ich werde in den Augen meiner Tischgenossen nicht mehr aussehen wie ein unerzogener Wilder.
     
    Derselbe Tag, abends
    Von wegen Harmonie! Etwas Katastrophales ist geschehen. Mir zittern vor Scham die Hände, aber ich muß jetzt gleich alle Einzelheiten notieren. Das wird mir helfen, mich zu konzentrieren und den richtigen Entschluß zu fassen. Vorerst nur die Fakten, die Schlußfolgerungen später.
    Also.
    Das Abendessen im Salon »Hannover« begann wie üblich um 20 Uhr. Obwohl ich

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