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Mord auf der Leviathan

Mord auf der Leviathan

Titel: Mord auf der Leviathan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris Akunin
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Amethysten verschwand, der Ludwig dem Heiligen gehört haben sollte. Am Abend zuvor hatte Monsignore die beiden besten Novizinnen zu einer Unterredung in sein Gemach gebeten, unsere Marie und ein Mädchen aus Arles. Auf die beiden fiel natürlich der Verdacht. Die Äbtissin fand unter der Matratze der Arlesierin das Samtfutteral des Rings. Die Diebin fiel in Erstarrung, antwortete nicht auf Fragen und wurde in den Karzer gebracht. Als eine Stunde später die Polizei eintraf, konnte die Verbrecherin nicht mehr verhört werden, sie hatte sich mit der Gürtelschnur ihrer Kutte erhängt.«
    »Das hat diese garstige Marie Sansfond gefingert, ich errate es!« rief Milford-Stokes. »Scheußlich, die Geschichte, scheußlich!«
    »Das weiß niemand ganz genau, nur wurde der Ring nie gefunden.« Der Kommissar breitete die Arme aus. »Zwei Tage später kam Marie, in Tränen aufgelöst, zu der Äbtissin, sagte, daß alle sie scheel ansähen, und bat, sie aus dem Kloster zu entlassen. Die Mutter Äbtissin, die seltsamerweise gegen ihre Lieblingsnovizin abgekühlt war, hielt sie nicht.«
    »Man hätte das Täubchen am Tor durchsuchen müssen«, sagte Dr. Truffo bedauernd. »Der Amethyst war bestimmt unter ihren Röcken versteckt.«
    Als er diese Worte seiner Gattin übersetzt hatte, stieß sie ihm den spitzen Ellbogen in die Seite, denn sie hielt die Bemerkung wohl für anstößig.
    »Ob man sie nicht durchsuchte oder doch, aber nichts fand, weiß ich nicht. Marie jedenfalls fuhr vom Kloster nach Antwerpen, das bekanntlich die Welthauptstadt für Edelsteine ist. Dort wurde die Ex-Nonne plötzlich reich und lebte fortan auf großem Fuß. Manchmal saß sie auch mit leeren Händen da, doch nicht lange – ihr scharfer Verstand, ihre glänzenden schauspielerischen Fähigkeiten und das gänzliche Fehlen moralischer Skrupel« (der Kommissar hob belehrend die Stimme und machte sogar eine Pause) »halfen ihr immer wieder, die Mittel für ein elegantes Leben aufzutreiben. Die Polizei von Belgien, Frankreich, England, den Vereinigten Staaten, Brasilien, Italien und einem weiteren Dutzend Länder nahm Marie Sansfond mehr als einmal fest und verdächtigte sie der verschiedensten Verbrechen, aber eine Anklage wurde ihr nie präsentiert: Mal gab es keine Anhaltspunkte, mal reichten die Indizien nicht aus. Wenn Sie wollen, erzähle ich Ihnen ein paar Episoden aus ihrer Dienstliste. Sie langweilen sich doch nicht, Mademoiselle Stomp?«
    Clarissa hielt es für unter ihrer Würde, darauf zu antworten. Aber ihr war sorgenvoll zumute.
    »Das Jahr 1870«, sagte Coche nach einem weiteren Blick in seine Mappe. »Das kleine, aber reiche Städtchen Fettburg in der deutschsprachigen Schweiz. Schokoladen- und Schinkenproduktion. Auf viertausend Einwohner kommen achteinhalbtausend Schweine. Eine Region der fetten Idioten – Pardon, Madame Kleber, ich wollte Ihre Heimat nicht beleidigen«, besann sich der Kommissar verspätet.
    »Macht nichts.« Madame Kleber zuckte lässig die Achseln. »Ich komme aus der französischsprachigen Schweiz. In dem Teil, wo Fettburg liegt, leben tatsächlich nur Dummköpfe. Ich glaube, ich kenne die Geschichte, sie ist lustig. Erzählen Sie nur.«
    »Lustig für manch einen vielleicht.« Coche seufzte vorwurfsvoll und zwinkerte plötzlich Clarissa zu, was schon über die Hutschnur ging. »Eines Tages gerieten die ehrlichen Bürger des Städtchens in unbeschreibliche Erregung. Ein Bauer namens Möbius, der in Fettburg als Faulpelz und Tölpel galt, prahlte, er habe am Vorabend sein Land verkauft, einen schmalen Streifen steiniger Brache, und zwar an eine hochgestellte Dame, die sich Gräfin de Sansfond nenne. Für 30 Acre unfruchtbaren Bodens, auf dem nicht mal Disteln wuchsen, habe ihm die dumme Gräfin 3 000 Franken bezahlt. Aber in der Stadtverwaltung gab es Leute, die klüger waren als Möbius, und denen kam die Geschichte spanisch vor. Was wollte die Gräfin mit 30 Acre Sand und Steinen? Irgendwas stimmte da nicht. Für alle Fälle wurde ein gewiefter Mitbürger nach Zürich entsandt, und der fand heraus, daß die Gräfin de Sansfond eine bekannte Person sei. Sie führe ein fröhliches Leben in Luxus, und das Interessanteste – sie zeige sich häufig in Begleitung des Herrn Goldsilber, des Direktors der staatlichen Eisenbahngesellschaft. Wie erzählt wurde, hatte der Herr Direktor mit der Gräfin ein Techtelmechtel. Und da reimten die Bürger sich alles zusammen. Ich muß erwähnen, daß das Städtchen Fettburg seit langem

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