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Mord auf der Leviathan

Mord auf der Leviathan

Titel: Mord auf der Leviathan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris Akunin
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Schlangenköpfchen nachdenklich in die Hand stützt und der weite Ärmel dabei bis zum Ellbogen heruntergleitet. In der Beuge werden Sie kaum erkennbare Pünktchen bemerken. Das sind die Einstiche von Injektionsnadeln, Herr Kommissar. Fragen Sie Doktor Truffo, ob er ihr irgendwelche Spritzen gibt, und der geehrte Arzt wird Ihnen dasselbe antworten wie heute mir: Nein, das tue er nicht, und überhaupt sei er ein prinzipieller Gegner der intravenösen Verabreichung. Dann zählen Sie zwei und zwei zusammen, o weiser Coche-san, und Sie werden etwas haben, worüber Sie sich Ihren grauen Kopf zerbrechen können.« Das werde ich ihm sagen, und dann wird er sich Madame Kleber vornehmen.
    Ein europäischer Ritter würde mein Vorgehen wohl häßlich finden, und darin würde sich seine Beschränktheit kundtun. Eben darum gibt es in Europa keine Ritter mehr, doch die Samurai leben. Zwar hat der Kaiser die Standesunterschiede aufgehoben und uns verboten, zwei Schwerter am Gürtel zu tragen, aber das bedeutet nicht die Abschaffung des Samuraititels, sondern im Gegenteil die Erhebung der ganzen japanischen Nation in den Samuraistand, damit wir uns nicht voreinander mit unserm Stammbaum brüsten. Wir halten zusammen, und die übrige Welt steht gegen uns. Oh, edler europäischer Ritter (der gewiß nur in Romanen existiert)! Wenn du mit Männern kämpfst, so benutze männliche Waffen, und wenn du mit Frauen kämpfst, dann weibliche. Das ist der Ehrenkodex des Samurai, und daran ist nichts Häßliches, denn Frauen verstehen nicht schlechter zu kämpfen als Männer. Gegen die Ehre eines Samurai würde es verstoßen, gegen Frauen männliche Waffen anzuwenden und gegen Männer weibliche. So weit würde ich mich nie erniedrigen.
    Ich zögere noch, das geplante Manöver zu unternehmen, aber mein Geisteszustand ist erheblich besser als gestern. So erheblich, daß ich ohne Mühe den ganz passablen Dreizeiler zustande brachte:
    Als eisiger Funke
    blitzte der Mond
    auf stählerner Klinge.

CLARISSA STOMP
     
     
    Clarissa drehte sich mit gelangweilter Miene um, ob nicht jemand guckte, erst danach linste sie um die Ecke des Deckhauses.
    Der Japaner saß allein achtern auf dem Bootsdeck, die Beine untergeschlagen. Sein Kopf war hoch erhoben, zwischen den halbgeschlossenen Lidern glitzerte gespenstisch das Weiß der Augäpfel, ein entrücktes und leidenschaftsloses Gesicht.
    Brrr! Clarissa schüttelte sich. Dieser Mr. Aono war schon ein seltenes Exemplar. Hier auf dem Bootsdeck, eine Etage über dem Erste-Klasse-Deck, gab es keine Flaneure, nur ein Schwarm kleiner Mädchen vergnügte sich mit dem Springseil, und im Schatten eines schneeweißen Rettungsboots hockten zwei von der Hitze zermürbte Gouvernanten. Wer außer Kindern und dem halbverrückten Asiaten konnte sich in dieser Sonnenglut aufhalten? Über dem Bootsdeck gab es nur noch das Ruderhaus, die Kapitänsbrücke und natürlich Schornsteine, Masten und Segel. Die weißen Leinwände blähten sich unter dem Druck des Windes, die »Leviathan« eilte, Qualmwolken ausstoßend, auf den quecksilbrigen Streifen des Horizonts zu, und ringsum blinkte und schillerte das leicht zerknitterte flaschengrüne Tuch des Indischen Ozeans. Von hier oben war zu erkennen, daß die Erde tatsächlich rund war, denn der Horizont lag deutlich tiefer als die »Leviathan«.
    Aber Clarissa setzte sich der schweißtreibenden Hitze keineswegs aus Liebe zu Meereslandschaften aus. Sie wollte sehen, was Mr. Aono dort oben trieb. Wohin entfernte er sich jedesmal nach dem Frühstück mit solch beneidenswerter Beständigkeit?
    Und sie interessierte sich zu Recht. Hier zeigte der ewig lächelnde Asiat sein wahres Gesicht. Ein Mensch mit so erstarrten, erbarmungslosen Zügen ist zu allem fähig. Die Vertreter der gelben Rasse sind eben doch anders als wir, und nicht nur wegen des Augenschnitts. Äußerlich sehen sie Menschen sehr ähnlich, aber sie sind eine ganz andere Art. Wölfe sehen ja auch aus wie Hunde, haben jedoch eine völlig andere Natur. Gewiß, die Gelbhäutigen haben ihre eigene sittliche Basis, doch die ist dem Christentum dermaßen fremd, daß ein normaler Mensch sie nicht begreifen kann. Besser wär’s, sie trügen keine europäische Kleidung und wären unfähig, mit Messer und Gabel zu essen – damit schaffen sie nur die gefährliche Illusion, sie wären zivilisierte Menschen, dabei verbergen sich unter ihrem geleckten schwarzen Scheitel und ihrer glatten Stirn Dinge, die wir uns nicht vorstellen

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