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Mord auf der Leviathan

Mord auf der Leviathan

Titel: Mord auf der Leviathan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris Akunin
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von einem Eisenbahnanschluß träumte, um Schokolade und Schinken billiger ausführen zu können. Das Ödland, das die fröhliche Gräfin erworben hatte, zog sich von der nächstgelegenen Bahnstation zu dem Wald, wo das Gemeindeland anfing. Den Stadtvätern dämmerte: Die Gräfin hatte von ihrem Liebhaber erfahren, daß der Streckenbau in Vorbereitung war, und hatte den Schlüsselabschnitt gekauft, um tüchtig zu kassieren. Und da reifte in den Köpfen der Bürger ein dreister Plan. Sie entsandten zu der Gräfin eine Deputation, die Ihre Erlaucht überreden sollte, das Landstück der ruhmreichen Stadt Fettburg abzutreten. Die Schöne sträubte sich zunächst und behauptete, von dem Streckenbau nichts zu wissen, doch als der Bürgermeister andeutete, die Sache rieche nach einer Absprache zwischen Ihrer Erlaucht und Seiner Exzellenz dem Herrn Direktor, und das sei strafbar, schluchzte die schwache Frau und willigte ein. Das Ödland wurde in dreißig gleich große Grundstücke aufgeteilt und auf einer Auktion versteigert. Die Fettburger schlugen sich beinahe, und einzelne Grundstücke erzielten einen Preis von 15   000. Insgesamt verdiente die Gräfin …« Der Kommissar fuhr mit dem Finger über die Zeile. »… fast 280   000 Franken.«
    Madame Kleber prustete los und bedeutete Coche mit einer Geste: Ich sage nichts, erzählen Sie weiter.
    »Wochen, Monate gingen ins Land, doch der Baubeginn blieb aus. Die Fettburger schickten eine Anfrage an die Regierung und erhielten die Antwort, in den nächsten fünfzehn Jahren sei für ihre Stadt kein Bahnanschluß vorgesehen. Sie liefen zur Polizei: so und so, Raub am hellichten Tag. Die Polizei hörte die Geschädigten voller Mitgefühl an, konnte aber nicht helfen, denn Madame Sansfond hatte ja selbst gesagt, daß sie von einem Bahnbau nichts wisse und ihr Land nicht abtreten wolle. Alles sei rechtmäßig und nicht anfechtbar. Nun, und daß sie sich als Gräfin ausgebe, sei natürlich nicht schön, aber leider auch nicht strafbar.
    »Schlau!« lachte Regnier. »Wirklich, nicht anfechtbar.«
    »Noch etwas.« Der Kommissar blätterte in seinen Papieren. »Es gibt da eine ganz phantastische Geschichte. Schauplatz ist der amerikanische Wilde Westen im Jahr 1873. In den Goldminen Californiens traf die weltbekannte Nekromantin und Großdrakonesse des Malteserordens Miss Kleopatra Frankenstein ein, laut Paß Marie Sansfond. Sie verkündete den Goldsuchern, die Stimme von Zarathustra habe sie in diese wilde Gegend geführt, und sie habe den Auftrag, in dem Städtchen Golden Nugget ein großes Experiment durchzuführen. Genau an diesem Längen- und Breitengrad konzentriere sich die kosmische Energie auf so einzigartige Weise, daß es möglich sei, in einer sternklaren Nacht mit Hilfe kabbalistischer Formeln Menschen, die bereits die Große Scheide zwischen dem Reich der Lebenden und dem Reich der Toten überschritten hätten, wieder auferstehen zu lassen. Sie, Kleopatra, wolle dieses Wunder in der kommenden Nacht vollbringen, in Anwesenheit von Publikum und gänzlich gratis, denn sie sei keine Zirkuskünstlerin, sondern ein Medium der Höheren Sphären. Und was glauben Sie?« Coche machte eine wirkungsvolle Pause. »Vor den Augen von fünfhundert bärtigen Zuschauern zauberte die Drakonesse über dem Grabhügel von Roter Coyote, einem legendären Indianerhäuptling, der vor hundert Jahren gestorben war, und plötzlich kam die Erde in Bewegung, man kann sagen, sie tat sich auf, und heraus stieg der indianische Krieger mit Federschmuck, Tomahawk und bemalter Physiognomie. Die Zuschauer erbebten, und Kleopatra, ganz im Banne der mystischen Trance, schrie gellend: ›Ich fühle in mir die Kraft des Kosmos! Wo ist euer städtischer Friedhof? Gleich mache ich alle, die dort liegen, wieder lebendig!‹ An dieser Stelle schreibt die Zeitung, daß der Friedhof von Golden Nugget sehr groß war, weil in den Goldminen tagtäglich jemand ins Jenseits befördert wurde. Es gab dort mehr Gräber, als die Stadt Einwohner hatte. Die Goldsucher malten sich aus, was geschehen würde, wenn all die Schlagetots, Trunkenbolde und Galgenvögel ihren Gräbern entstiegen, und verfielen in Panik. Der Friedensrichter rettete die Situation. Er trat vor und fragte die Drakonesse höflich, ob sie nicht bereit sei, dieses große Experiment abzubrechen, wenn die Einwohner der Stadt ihr eine volle Tasche Goldstaub spendeten, als bescheidenes Opfer für die Bedürfnisse der okkulten Wissenschaft.«
    »Na und, hat sie

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