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Mord auf der Leviathan

Mord auf der Leviathan

Titel: Mord auf der Leviathan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris Akunin
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Behausung war tipp-topp aufgeräumt: Mitten auf dem Tisch prangte die bekannte schwarze Mappe, daneben lagen ein Stoß Papier und gutgespitzte Bleistifte. Renate sah sich neugierig um, entdeckte eine Schuhbürste und eine Dose Schuhkrem und auf einer Schnur trocknende Hemdkragen. Der Alte ist geizig, dachte sie, er putzt seine Schuhe selbst und wäscht selbst, um dem Personal kein Trinkgeld geben zu müssen.
    »Na, reden Sie schon«, knurrte er gereizt, da Renates Neugier ihn verdroß.
    »Ich weiß, wer der Täter ist«, meldete sie stolz.
    Diese Neuigkeit verfehlte die erhoffte Wirkung auf den Kommissar. Er holte tief Luft und fragte: »Wer?«
    »Na sind Sie denn blind? Das ist doch mit bloßem Auge zu sehen!« Renate schlug die Hände zusammen und setzte sich in einen Sessel. »Alle Zeitungen haben geschrieben, daß den Mord ein Psychopath verübt haben muß. Kein normaler Mensch hätte das fertiggebracht, richtig? Und jetzt überlegen Sie mal, wer bei uns am Tisch sitzt. Natürlich ist da eine komische Truppe beisammen, lauter Langweiler und Mißgeburten, aber nur ein Psychopath.«
    »Sie meinen den Baronet?« fragte Schnauzer.
    »Na endlich.« Renate schüttelte mitleidig den Kopf. »Das liegt doch klar auf der Hand. Haben Sie mal gesehen, mit was für Augen er mich anguckt? Das ist doch ein Tier, ein Monster. Ich fürchte mich, allein durch den Korridor zu gehen. Gestern traf ich ihn auf der Treppe, und ringsum kein Mensch. Es hat mir einen Stich gegeben!« Sie griff sich an den Bauch. »Ich beobachte ihn schon lange. Nachts brennt in seiner Kabine Licht, und die Vorhänge sind zugezogen. Gestern aber war ein schmaler Spalt offen, und ich habe vom Deck aus hineingeschaut. Er stand mitten in der Kabine, fuchtelte mit den Händen, schnitt ekelhafte Grimassen, drohte jemandem mit dem Finger. Gräßlich! Später in der Nacht bekam ich Migräne und ging hinaus an die frische Luft. Plötzlich seh ich, auf der Back steht unser Verrückter, den Kopf gen Himmel gereckt, und guckt durch ein Metallding zum Mond. Und da fiel bei mir der Groschen!« Renate beugte sich vor und begann zu flüstern. »Wir haben nämlich Vollmond. Und da ist er durchgedreht. Er ist geisteskrank, und bei Vollmond erwacht seine Blutgier. Ich habe darüber gelesen! Was starren Sie mich so an? Haben Sie in den Kalender gesehen?« Renate entnahm ihrem Ridikül einen kleinen Kalender. »Da, schauen Sie, ich habe nachgeblättert. Am 15. März wurden die zehn Menschen in der Rue de Grenelle ermordet, und es war Vollmond. Da steht es schwarz auf weiß: pleine lune!«
    Schnauzer sah hin, aber ohne Interesse.
    »Was glotzen Sie denn wie ein Uhu!« rief Renate ärgerlich. »Sie werden doch begreifen, daß heute wieder Vollmond ist! Während Sie hier herumsitzen, schnappt er wieder über und bringt noch einen Menschen um. Ich weiß sogar, wen – mich. Er haßt mich.« Ihre Stimme zitterte hysterisch. »Auf diesem schauerlichen Schiff wollen sie mich alle töten! Mal fällt ein Afrikaner über mich her, mal stiert mich der Asiat an und läßt die Kaumuskeln spielen, und nun auch noch der durchgedrehte Baronet!«
    Schnauzer sah sie unverwandt an. Renate fuchtelte mit der Hand vor seiner Nase herum und rief: »He, Monsieur Coche! Sind Sie eingeschlafen?«
    Der Alte schob ihre Hand beiseite und sagte rauh: »Jetzt hören Sie mal zu, meine Liebe. Stellen Sie sich nicht dumm. Mit dem rothaarigen Baronet werde ich schon fertig. Erzählen Sie mir lieber, was es mit der Spritze auf sich hat. Aber schön die Wahrheit!« bellte er so heftig, daß Renate den Kopf einzog.
     
    Beim Abendbrot saß sie da und starrte auf ihren Teller. Den sautierten Aal rührte sie nicht an, dabei aß sie sonst immer mit gutem Appetit. Ihre Augen waren rot und geschwollen. Die Lippen zuckten ab und zu.
    Dafür wirkte Schnauzer gutmütig und sogar wohlgelaunt. Er blickte öfter mal und nicht ohne Strenge zu Renate, aber nicht feindselig, eher väterlich. Dieser Coche war nicht so bedrohlich, wie er gerne gewirkt hätte.
    »Solides Ding«, sagte er mit einem neidischen Blick auf die Big-Ben-Uhr in der Ecke des Salons. »Manche haben eben Glück.«
    Der monumentale Preis paßte nicht in Fandorins Kabine und war einstweilen im Salon »Hannover« abgestellt worden. Der eichene Turm tickte, klirrte und grunzte ohrenbetäubend und schlug jede volle Stunde derart schallend, daß sich alle ans Herz griffen. Beim Frühstück, als Big Ben mit zehnminütiger Verspätung verkündete, daß es schon

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