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Mord auf der Leviathan

Mord auf der Leviathan

Titel: Mord auf der Leviathan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris Akunin
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Nach den Worten des Bengalen war er das letztemal ganz verändert herausgekommen, hatte ein Papier geschwenkt und sich zum Schiff bringen lassen. Also mußte er die Antwort bekommen haben.
    Was darin steht, weiß ich nicht, doch es liegt auf der Hand, daß der Professor, oder was immer er ist, Komplizen hat.
    Das war vorvorgestern. Seitdem ist Sweetchild wie ausgewechselt. Wie ich schon schrieb, redet er nur noch von Edelsteinen. Manchmal setzt er sich plötzlich irgendwo an Deck hin
und zeichnet etwas, mal auf seine Manschette, mal auf sein Taschentuch.
    Am Abend fand im Grand Salon ein Ball statt. Ich habe Ihnen schon den majestätischen Saal geschildert, der aus Versailles oder dem Buckingham Palace hergeholt scheint. Überall Vergoldungen, die Wände bestehen aus Spiegeln, die elektrischen Kristallüster klirren melodisch im Takt des Wellengangs. Das Orchester (übrigens ganz ordentlich) spielte hauptsächlich Wiener Walzer, ein Tanz, den ich, wie Sie wissen, unanständig finde, darum stand ich in einer Ecke und beobachtete Sweetchild. Der amüsierte sich tüchtig, forderte eine Dame nach der anderen auf, galoppierte wie ein Ziegenbock und trat ihnen gnadenlos auf die Füße, was ihn aber nicht im geringsten beirrte. Mich lenkte ein wenig die Erinnerung ab, wie wir beide tanzten und wie graziös Ihre Hand im weißen Handschuh auf meiner Schulter lag. Plötzlich sah ich, wie Sweetchild zusammenzuckte, seine Dame beinahe fallenließ und, ohne sich zu entschuldigen, fast im Laufschritt zu den Tischen mit dem Imbiß eilte. Seine Dame blieb wie versteinert mitten im Saal stehen. Der unbändige Hungeranfall kam auch mir sonderbar vor.
    Aber Sweetchild würdigte die Schüsseln mit Kuchen, Käse und Früchten keines Blicks. Er griff sich aus dem silbernen Serviettenhalter eine Papierserviette und begann, darüber gebeugt, eifrig etwas zu krakeln. Er war ganz außer sich, hielt es inmitten der Menge nicht für nötig, Vorsicht walten zu lassen! Vor Neugier brennend, bewegte ich mich lässigen Ganges zu ihm hin. Aber Sweetchild richtete sich auf und faltete die Serviette zweimal, wohl um sie in die Tasche zu stecken. Schade, ich hatte ihm nicht über die Schulter schauen können. Wütend stampfte ich mit dem Fuß auf und wollte eben umkehren, da sah ich Mr. Fandorin mit zwei Gläsern Champagner auf den Tisch zukommen. Ein Glas reichte er Sweetchild, das andere behielt er. Ich
hörte, wie der Russe sagte: »Ach, lieber Professor, was sind Sie doch zerstreut! Eben haben Sie eine schmutzige Serviette in die Tasche gesteckt.« Sweetchild holte verlegen die Serviette hervor, zerknüllte sie und warf sie unter den Tisch. Ich trat zu den beiden und brachte das Gespräch auf die Mode, denn ich wußte, daß der Indologe bald gelangweilt gehen würde. So kam es auch.
    Kaum hatte er uns mit einer Entschuldigung verlassen, flüsterte Mr. Fandorin mit Verschwörermiene: »Na, Sir Reginald, wer von uns kriecht unter den Tisch?« Da ging mir auf, daß das Verhalten des Professors nicht nur mir, sondern auch dem Diplomaten verdächtig vorkam. Zwischen uns entstand blitzschnell ein völliges Einvernehmen. »Ja, das ist nicht ganz schicklich«, antwortete ich. Mr. Fandorin blickte nach rechts und links und schlug vor: »Machen wir’s so: Einer denkt sich einen anständigen Vorwand aus, und der andere kriecht unter den Tisch.« Ich nickte und dachte nach, doch mir fiel nichts Passendes ein. »Heureka«, flüsterte mein Partner und öffnete mit einer schnellen Bewegung einen meiner goldenen Manschettenknöpfe, der fiel zu Boden, und der Diplomat stieß ihn mit der Schuhspitze unter den Tisch. »Sir Reginald«, sagte er laut, damit die Umstehenden es hörten. »Ich glaube, Sie haben einen Manschettenknopf verloren.«
    Abgemacht ist abgemacht. Ich hockte mich hin und blickte unter den Tisch. Die Serviette lag ganz nahe, doch der verdammte Knopf war bis an die Wand gekullert, und der Tisch war ziemlich breit. Stellen Sie sich folgendes Bild vor: Ihr Ehemann kriecht auf allen vieren unter dem Tisch herum und kehrt dem Saal nicht gerade seine imposanteste Seite zu. Auf dem Rückweg gab es einen kleinen Zwischenfall. Als ich unter dem Tisch hervorschaute, sah ich direkt vor mir zwei junge Damen, die sich lebhaft mit Mr. Fandorin unterhielten. Als sie meinen rothaarigen Kopf in Höhe ihrer Knie erblickten, kreischten sie
erschrocken auf, doch mein tückischer Partner sprach ungerührt: »Darf ich vorstellen – der Baronet Milford-Stokes.« Die

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