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Mord auf der Leviathan

Mord auf der Leviathan

Titel: Mord auf der Leviathan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris Akunin
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gesagt, Sie wollen ihm ein Geständnis ablegen«, erinnerte Clarissa sie feindselig. »Welches?«
    »Ja, ich habe einen Umstand verschwiegen … Einen wesentlichen Umstand. Ich hätte bestimmt alles zugegeben, aber ich wollte zuerst den Kommissar überführen.«
    »Überführen? Wessen?« fragte Milford-Stokes teilnahmsvoll.
    Madame Klebers Tränen versiegten, und sie verkündete triumphierend: »Regnier hat nicht Selbstmord begangen. Kommissar Coche hat ihn umgebracht!« Und als sie die Erschütterung der Zuhörer sah, sprach sie schnell weiter. »Das ist doch offensichtlich! Versuchen Sie mal, sich in einem Zimmerchen von sechs Quadratmetern mit einem Anlauf den Kopf an der Wand zu zerschlagen! Das ist einfach unmöglich. Wenn Charles sich das Leben hätte nehmen wollen, hätte er den Schlips an das Gitter der Ventilation gebunden und wäre vom Stuhl gesprungen. Nein, Coche hat ihn ermordet! Er hat ihm etwas Schweres auf den Kopf gehauen und dann den Selbstmord vorgetäuscht – hat den bereits Toten mit dem Kopf gegen den Wandvorsprung geschleudert.«
    »Aber wozu brauchte der Kommissar den Tod Regniers?« Clarissa schüttelte skeptisch den Kopf. Madame Kleber redete eindeutig Unsinn.
    »Ich sage doch, er war übergeschnappt vor Habgier! An allem ist das Tuch schuld! Ob Coche wütend auf Charles war, weil der das Tuch verbrannt hatte, oder ob er ihm nicht glaubte, weiß ich nicht. Aber Coche hat ihn getötet, das steht fest. Und als ich ihm das ins Gesicht sagte, hat er es nicht mal bestritten. Er zog seinen Revolver, fuchtelte damit, drohte mir. Wenn ich nicht den Mund hielte, sagte er, werde er mich Regnier hinterherschicken.« Renate zog wieder schniefend die Nase hoch, und – Wunder über Wunder! – der Baronet reichte ihr sein Taschentuch.
    Was bedeutete diese geheimnisvolle Wandlung? Er war ihr doch stets aus dem Weg gegangen!
    »Ja, und dann legte er den Revolver auf den Tisch, packte mich an den Schultern und schüttelte mich. Ich hatte solche Angst, solche Angst! Ich weiß selber nicht mehr, wie ich ihn zurückstieß und die Waffe vom Tisch nahm. Entsetzlich! Ich lief vor ihm weg, um den Tisch herum, er hinter mir her. Ich drehte mich um und drückte ab, ich weiß nicht mehr, wie oft. Endlich fiel er hin. Und dann kam Herr Fandorin.«
    Renate schluchzte laut. Milford-Stokes streichelte ihr behutsam die Schulter – als berührte er eine Klapperschlange.
    In die Stille hinein tönte Händeklatschen. Vor Überraschung zuckte Clarissa zusammen.
    »Bravo!« Fandorin war es, der klatschte. Er lächelte spöttisch. »B-bravo, Madame Kleber. Sie sind eine große Schauspielerin.«
    »Was erlauben Sie sich!« Milford-Stokes verschluckte sich vor Entrüstung, doch Fandorin brachte ihn mit einer Geste zum Schweigen.
    »Setzen Sie sich hin und hören Sie zu. Ich erzähle Ihnen, wie es wirklich war.« Fandorin war ganz ruhig und schien nicht im geringsten zu bezweifeln, daß er die Wahrheit kannte. »Madame Kleber ist nicht nur eine hervorragende Schauspielerin, sondern überhaupt eine außergewöhnliche und talentierte Person – in jeder Beziehung. Voller Schwung und Phantasie. Leider liegt ihre wichtigste Begabung im kriminellen Bereich. Madame, Sie sind an einer ganzen Reihe von Morden beteiligt. Genauer, Sie sind nicht beteiligt, Sie sind die Anstifterin. Und Regnier war Ihr Komplize.«
    »Na bitte«, sagte Renate kläglich zu Milford-Stokes. »Nun ist der auch noch übergeschnappt. Und war immer so still und ruhig.«
    »Das Erstaunlichste an Ihnen ist die unglaubliche Reaktionsschnelligkeit«, fuhr Fandorin ungerührt fort. »Sie verteidigen sich nie, Sie sch-schlagen stets als erste zu, Frau Sansfond. Ich darf Sie doch mit Ihrem richtigen Namen anreden?«
    »Sansfond? Marie Sansfond? Die?« rief Doktor Truffo.
    Clarissa ertappte sich dabei, daß sie mit offenem Munde dasaß. Milford-Stokes zog hastig die Hand von Renates Schulter weg. Renate sah Fandorin mitleidig an.
    »Ja, vor Ihnen sitzt die internationale A-abenteurerin Marie Sansfond. Legendär, genial und gnadenlos. Ihr Stil – große Maßstäbe, Erfindungsreichtum, F-frechheit. Und außerdem – keine Beweise und keine Zeugen. Sowie, last but not least, die völlige Geringschätzung von Menschenleben. Die Aussagen von Charles Regnier, auf die wir noch zurückkommen, sind zur Hälfte Wahrheit und zur Hälfte L-lüge. Ich weiß nicht, Madame, wann und unter welchen Umständen Sie diesen Mann kennenlernten, aber zweierlei steht außer Zweifel. Regnier

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