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Mord auf der Leviathan

Mord auf der Leviathan

Titel: Mord auf der Leviathan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris Akunin
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krachte es schon wieder.
    »Revolverschüsse!« rief Milford-Stokes. »Aber wo?«
    »In der Kabine des Kommissars!« sagte Fandorin rasch und stürzte zur Tür.
    Alle liefen hinter ihm her.
    Es krachte zum dritten und, als es nur noch zwanzig Schritte bis zu Coches Kabine waren, zum vierten Mal.
    »Bleiben Sie hier stehen!« schrie Fandorin, ohne sich umzudrehen, und zog einen kleinen Revolver aus der Gesäßtasche.
    Die anderen verlangsamten den Schritt, nur Clarissa hatte keine Angst und wollte nicht hinter Erast zurückbleiben.
    Er stieß die Kabinentür auf und hob die Hand mit dem Revolver. Clarissa stellte sich auf die Zehenspitzen und schaute ihm über die Schulter.
    Ein umgestürzter Stuhl war das erste, was sie sah. Dann erblickte sie Kommissar Coche. Er lag hinter dem polierten runden Tisch in der Mitte des Raums. Clarissa bog den Hals, um den Liegenden besser zu sehen, und fuhr zusammen: Coches Gesicht war ungeheuerlich verzerrt, und mitten aus der Stirn quoll blasig dunkles Blut, das in zwei Rinnsalen zu Boden lief.
    In der gegenüberliegenden Ecke drückte sich Renate Kleber an die Wand. Sie war totenbleich, schluchzte hysterisch, und ihre Zähne klapperten. In ihrer Hand zuckte ein großer schwarzer Revolver mit qualmender Mündung.
    »Aah! Huuh!« heulte sie und zeigte mit zitterndem Finger auf den Toten. »Ich … ich habe ihn getötet!«
    »Ich dachte es mir«, sagte Fandorin bündig.
    Ohne seinen Revolver zu senken, ging er schnell auf die Schweizerin zu und riß ihr mit einer geschickten Bewegung die Waffe aus der Hand. Sie dachte nicht an Widerstand.
    »Doktor Truffo!« rief er, wobei er jede Bewegung Renates beobachtete. »Kommen Sie her!«
    Der Arzt äugte mit furchtsamer Neugier in die von Pulverqualm erfüllte Kabine.
    »Untersuchen Sie die Leiche«, sagte Fandorin.
    Truffo, halblaut auf italienisch wehklagend, kniete neben dem toten Coche nieder.
    »Letale Kopfverletzung«, meldete er. »Der Tod ist sofort eingetreten. Aber das ist nicht alles … Der rechte Ellbogen ist durchschossen. Und hier, das linke Handgelenk. Drei Wunden.«
    »Suchen Sie weiter. Es waren vier Sch-schüsse.«
    »Mehr ist nicht. Eine der Kugeln hat ihn wohl verfehlt. Doch nein, Moment mal! Da, im rechten Knie!«
    »Ich sage alles«, stammelte Renate, von Schluchzen gebeutelt, »nur bringen Sie mich weg aus diesem entsetzlichen Zimmer!«
    Fandorin steckte den kleinen Revolver in die Tasche, den großen legte er auf den Tisch.
    »Also, gehen wir. Doktor, berichten Sie dem Chef der Wache, was passiert ist, er soll einen Posten vor die Tür stellen. Und kommen Sie dann zu uns in den Salon. Außer uns kann niemand die Untersuchung durchführen.«
    »Was für eine schreckliche Reise!« jammerte Truffo, während er den Korridor entlangtrippelte. »Arme ›Leviathan‹!«
     
    Im Salon »Hannover« nahmen sie folgendermaßen Platz: Madame Kleber am Tisch mit dem Gesicht zur Tür, die übrigen, ohne sich abgesprochen zu haben, ihr gegenüber. Nur Fandorin saß auf dem Stuhl neben der Mörderin.
    »Meine Herren, sehen Sie mich nicht so an«, rief Madame Kleber kläglich. »Ich habe ihn getötet, aber ich bin nicht schuldig. Ich erzähle Ihnen alles, und Sie werden mir zustimmen. Aber geben Sie mir um Gottes willen ein Glas Wasser.«
    Der mitleidige Japaner goß ihr Limonade ein – der Tisch war nach dem Frühstück noch nicht abgeräumt worden.
    »Also, was ist passiert?« fragte Clarissa.
    »Translate everything she says«, befahl Mrs. Truffo streng ihrem rechtzeitig zurückgekehrten Mann. »Everything, word for word.« 1
    Der Doktor nickte und wischte sich mit dem Taschentuch die schweißbedeckte Glatze.
    »Fürchten Sie nichts, gnädige Frau. Sagen Sie die ganze Wahrheit«, ermunterte Milford-Stokes Madame Kleber. »Dieser Herr ist kein Gentleman, er versteht sich nicht auf den Umgang mit einer Dame, aber ich garantiere Ihnen eine achtungsvolle Haltung.«
    Diese Worte waren von einem Blick auf Fandorin begleitet, einem so haßerfüllten Blick, daß Clarissa erstarrte. Was mochte seit gestern zwischen Erast und Milford-Stokes vorgefallen sein? Woher diese Feindschaft?
    »Danke, lieber Reginald«, schluchzte Renate.
    Sie trank ausgiebig Limonade, zog die Nase hoch und schniefte. Dann warf sie einen flehenden Blick auf ihre Gegenüber und begann: »Coche ist kein Gesetzeshüter! Er ist ein Verbrecher, ein Verrückter! Hier haben alle den Verstand verloren wegen des gräßlichen Tuchs! Sogar der Polizeikommissar!«
    »Sie haben

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