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Mord auf der Leviathan

Mord auf der Leviathan

Titel: Mord auf der Leviathan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris Akunin
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hat Sie aufrichtig geliebt und hat versucht, den Verdacht von Ihnen abzulenken, bis zum letzten Moment seines Lebens. Und das zweite: Sie haben den Sohn des Smaragdenen Radschas angestiftet, nach seinem Erbe zu suchen, sonst würde er damit kaum so viele J-jahre gewartet haben. Sie machten sich mit Lord Littleby bekannt, verschafften sich alle notwendigen Informationen und erstellten dann einen P-plan. Offensichtlich rechneten Sie anfangs darauf, ihm das Tuch durch List abspenstig zu machen, durch V-verführung, der Lord hatte ja keine Ahnung von der Bedeutung des Stoffs. Aber Sie mußten bald erkennen, daß die Aufgabe unlösbar war, denn Littleby hing wie närrisch an seiner Sammlung und würde um nichts auf der Welt auch nur ein einziges Exponat hergegeben haben. Das Tuch zu stehlen war auch nicht möglich, denn bei den Vitrinen standen immer bewaffnete Wächter. Und da beschlossen Sie, auf Nummer Sicher zu gehen – mit minimalem Risiko und, wie es Ihr Markenzeichen ist, ohne Spuren zu hinterlassen. Haben Sie eigentlich gewußt, daß der Lord an jenem verhängnisvollen Abend nicht verreist, sondern zu Hause geblieben war? Ich bin sicher, daß Sie es wußten. Sie wollten Regnier durch vergossenes Blut noch fester an sich binden. Denn die Diener hatte ja nicht er getötet, das waren Sie.«
    »Ausgeschlossen!« Doktor Truffo hob die Hand. »Eine Frau ohne medizinische Ausbildung und große Erfahrung soll in drei Minuten neun Spritzen setzen? Unmöglich!«
    »Erstens kann man ja neun aufgezogene Spritzen bereithalten. Und zweitens …« Fandorin nahm mit einer eleganten Bewegung einen Apfel aus der Schale und schnitt ein Stückchen ab. »Herr Regnier hatte keine Erfahrung im Umgang mit Spritzen, im Gegensatz zu Marie Sansfond. Vergessen Sie nicht, daß sie im Kloster der Vinzentinerinnen erzogen wurde. Dieser Orden hat es sich bekanntlich zur Aufgabe gemacht, armen Menschen medizinische Hilfe zu leisten, und die Vinzentinerinnen bilden ihre Zöglinge von klein auf dazu aus, in Hospitälern, Leprastationen und Armenhäusern Dienst zu tun. Alle diese Nonnen sind hochqualifizierte Krankenschwestern, und die junge Marie war, soviel ich weiß, eine der besten.«
    »Richtig, das hatte ich vergessen!« Der Doktor neigte reuevoll den Kopf. »Aber fahren Sie fort. Ich werde Sie nicht mehr unterbrechen.«
    »Also, Paris, Rue de Grenelle, Abend des 15. März. In der Villa von Lord Littleby erscheinen zwei Personen: ein junger dunkelhäutiger Arzt und eine Krankenschwester mit einer bis in die Augen herabgezogenen grauen Nonnenkapuze. Der Arzt weist ein P-papier mit dem Stempel der Pariser Mairie vor und verlangt, daß alle im Haus Anwesenden zusammengeholt werden. Die Nonne macht die Injektionen – schnell, geschickt, schmerzlos. Später findet der Pathologe bei keinem der Toten an der Einstichstelle ein Hämatom. Marie Sansfond hatte die Ausbildung in ihrer gottgefälligen Jugend nicht vergessen. Das weitere ist bekannt, darum lasse ich die Ei-einzelheiten weg: Die Diener schlafen ein, die Verbrecher steigen hinauf in den ersten Stock, Regniers kurzer Kampf mit dem Hausherrn. Beiden Tätern entging, daß das goldene Abzeichen der ›Leviathan‹ in der Hand des Lords blieb. Später mußten Sie, Madame, Ihrem Komplizen Ihr Abzeichen geben, denn für Sie war es leichter, einen Verdacht von sich abzulenken, als für den Ersten Offizier. Außerdem hatten Sie vermutlich mehr S-selbstvertrauen als er.«
    Clarissa, die bislang Fandorin wie verzaubert angesehen hatte, warf einen raschen Blick auf Renate. Die hörte aufmerksam zu, auf ihrem Gesicht war ein verwunderter, gekränkter Ausdruck erstarrt. Wenn sie Marie Sansfond war, verriet sie sich jedenfalls nicht im geringsten.
    »Mein Verdacht gegen Sie beide wurde wach an dem Tag, an dem der arme Afrikaner angeblich über Sie herfiel«, sagte der Erzähler vertraulich zu Renate und biß mit seinen regelmäßigen weißen Zähnen ein Stück von dem Apfel ab. »Das geht natürlich auf Regniers Konto – er war in Panik geraten. Sie hätten sich etwas Schlaueres einfallen lassen. Ich rekonstruiere die Kette der Ereignisse, und Sie v-verbessern mich, wenn ich mich im Detail irre. Einverstanden?«
    Renate schüttelte betrübt den Kopf und stützte die runde Wange in die Hand.
    »Regnier begleitete Sie zu Ihrer Kabine – Sie hatten etwas zu bereden, denn wie Ihr Komplize in seinem Geständnis schreibt, war kurz vorher das Tuch auf geheimnisvolle Weise verschwunden. Als Sie Ihre Kabine

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