Mord auf Frauenchiemsee - Oberbayern Krimi
gleich, genau wie die Nonne. Aber nicht Leonie.
Seidel hatte den Ring aufgefangen. Im selben Moment begriff er, was Karl Lichtenfels vorhatte. Dem betrügerischen Historiker war das egal, den Ring würde er abschreiben, dafür hätte er einen Mörder geschnappt. Ihn. Weil es passte. Es passte sogar ganz hervorragend.
Der Historiker musste bereits vor ihm auf der Insel gewesen sein. Ganz sicher sogar. Und Lichtenfels kannte die Familie Haberl. Patrick hatte des Öfteren einen Historiker erwähnt. Auf einen Sockel gestellt hatte er diesen Mann. Regelrecht verehrt. Ihm wurde schlecht.
»Nie hätte ich Leonie etwas getan!«, rief Seidel. Für wen sagte er das überhaupt.
Sein Blick fiel auf den Ausstellungskasten mit der Steinhacke. Vor ihm stand der kleine Heizofen, er bückte sich, hob ihn hoch und warf ihn in den Kasten. Glas spritzte nach allen Seiten. Kurz hob Seidel den Arm vor die Augen, dann griff er nach der altertümlichen Hacke.
Zorn macht unbesiegbar, und Lichtenfels hatte nicht den Hauch einer Chance. Er schien sogar ehrlich verblüfft, als Seidel die Hacke hob und auf ihn niedersausen ließ. Sein Mund öffnete sich, um etwas zu sagen, doch dazu bekam er keine Gelegenheit. Nach Lachen konnte ihm auch nicht mehr zumute sein.
Seidel sank auf die Knie. Er hatte blutige Spritzer auf den Händen und der Kleidung.
Es war wirklich kalt, da musste er Lichtenfels recht geben. Darum würde er auch einen Mantel anziehen und Handschuhe. Mit den besudelten Händen konnte er die Reliquie der Seligen nicht berühren.
Zum ersten Mal, seit er ihn gefangen hatte, warf Seidel einen genaueren Blick auf den Ring.
Hübsch gemacht, niemand würde argwöhnen, dass er nicht echt war. Vielleicht könnte man es am Gewicht spüren, aber wer interessierte sich schon dafür, wenn er an Irmengards Finger saß.
Um Lichtenfels würde er sich nachher kümmern. Es war spät, die Nonnen waren sicher längst zu Bett gegangen oder hielten Wache bei ihrer sterbenden Schwester.
Zuerst der Ring, dann der tote Historiker. Das hatte er jetzt davon, der Falschspieler. Seidel ging die Treppen hinauf. Die Tür zum Archiv schloss er ab.
In seinem Zimmer im Gästehaus reinigte er seine Hände so gründlich wie möglich, zog den Pullover aus und tauschte ihn gegen einen frischen. Die Hose hatte nicht viel abbekommen. Nachher würde es anders aussehen, er musste das blutige menschliche Bündel transportieren, aber der Mantel würde es verdecken.
Den zertrümmerten Glaskasten konnte er nicht ungeschehen machen, aber den Boden würde er aufwischen. Blut sollte keins zu sehen sein. Das altertümliche Instrument würde zusammen mit dem Historiker und den Handtüchern im geheimen Gang verschwinden, und Seidel würde nach getaner Arbeit noch eine Nacht im Gästehaus verbringen. Verbringen müssen, um keinen Verdacht zu erregen. Am kommenden Morgen wollte er sich dann zeitig verabschieden. Eine Nacht in diesen Mauern, mit der Last der Tat – es musste sein, obwohl er lieber sofort die Flucht ergriffen hätte.
Er packte seinen Koffer. Die Hände waren sauber, aber an ihrem Zittern war seine Anspannung sichtbar.
Im Kloster war es still. Er durfte es nicht eilig haben, nicht rennen. Wenn er jetzt nur mehr an Flucht denken konnte, dann würde sich dieser Gedanke manifestieren. Also lief er nicht.
Der Glasschrein in der Irmengard-Kapelle war nicht beleuchtet, sein Licht schien vielmehr aus dem Innern zu kommen. Seidel wurde davon beinahe magisch angezogen. Er klappte den Deckel auf und nahm die seidig überzogene Hand der Seligen heraus.
Der Ring an ihrem Finger ließ sich kaum bewegen, und er brauchte einige Zeit, bis er ihn ihr abgezogen hatte. Dann nahm er die Replik und schob sie vorsichtig über den leichten Stoff in Richtung Gelenk. Die Knochen darunter waren alt, leicht war ein Schaden angerichtet.
Gut gegangen, und Seidel atmete erleichtert aus. Vom Blut an seinen Händen wusste nur er allein.
Er legte die Hand zurück und machte den Deckel wieder zu.
Freudig küsste er den Ring der seligen Irmengard.
Eigenartig, er war leicht wie eine Feder. Seidel richtete den Strahl der Taschenlampe darauf. Entsetzen durchfuhr ihn wie ein Stromstoß.
»Neiiiiiiiin!«, brüllte er. Aus seinen Augen schossen bittere Tränen der Enttäuschung, er holte aus und warf den wertlosen Ring ins Dunkel der Kapelle.
»Ach, du lieber Augustin – alles ist hin.« Die Stimme sang es für ihn, sie klang mitleidig. Neben einer der Kirchenbänke stand eine weiß
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