Mord auf Raten
geliebt?«
»Nein. Wenn ich jemanden liebe, dann meinen Mann. Aber manchmal frage ich mich, ob ich überhaupt lieben kann. Ich frage mich, was Liebe überhaupt ist, wo sie herkommt, was sie verursacht, ob sie einem nützt oder schadet. Ich glaube, das Wort Liebe ist undefinierbar und rational nicht zu erklären. Ich fühle mich zu meinem Mann hingezogen, ich bin gerne in seiner Nähe, ich wäre am liebsten Tag und Nacht mit ihm zusammen, aber das lässt sein Beruf nicht zu. Das war auch der Grund für die Affäre mit Klaus. Zum Glück habe ich sie beendet, wer weiß, was sonst daraus entstanden wäre. Ich hätte alles zerstören können, was mir etwas bedeutet.«
»Sie sagen, Sie haben Ihren Schwager nicht geliebt. Haben Sie ihn gehasst?«
»Wofür denn?«, fragte sie, ohne Brandt anzuschauen. »Er hat mir doch nichts getan, es war meine eigene Entscheidung, eine Affäre mit ihm zu haben. Ich hätte genauso gut nein sagen können. Und wenn Sie meinen, mich mit dieser Frage in eine Ecke drängen zu können, vergessen Sie’s. Ich habe ihn nicht umgebracht.«
»Das habe ich auch nicht behauptet. Bereuen Sie die Affäre mit ihm?«
»Bereuen hat immer etwas mit Schuldgefühlen zu tun. Ich würde es bereuen, wenn Katharina oder Jochen oder auch noch andere es erfahren hätten. Aber so? Nein, ich bereue nichts von dem, was ich getan habe. Irgendjemand hat einmal gesagt, nichts bereuen ist aller Weisheit Anfang.«
Brandt musste unwillkürlich lächeln bei dem letzten Satz, der etwas seltsam aus dem Mund einer gerade einmal Vierunddreißigjährigen klang. »Haben Sie denn eine Ahnung oder Vermutung, wer für den Mord an Ihrem Schwager in Frage kommen könnte?«
Sie schüttelte den Kopf. »Nein, woher auch? Klaus hatte sicherlich eine Menge Feinde, er konnte sehr arrogant und herablassend sein, und er hat vielen Menschen wehgetan …«
Brandt unterbrach sie, weil er diese Worte in den letzten Stunden und Tagen schon zu oft gehört hatte. »Von allen, mit denen ich bisher gesprochen habe, höre ich immer wieder, dass Ihr Schwager vielen Menschen wehgetan hat. Wie sah denn dieses Wehtun aus?«
»Schwer zu beschreiben. Sagen wir es so, er hatte sich häufig nicht unter Kontrolle und kontrollierte trotzdem alles. Ichweiß, das ist ein Widerspruch in sich selbst, aber es ist nun mal so. Er konnte der liebenswürdigste und charmanteste Mann sein, aber schon im nächsten Augenblick das genaue Gegenteil, brutal, herrschsüchtig und unausstehlich. Das war auch mit ein Grund, weshalb ich Schluss gemacht habe. Er hat sein wahres Gesicht erst gezeigt, wenn er die Kontrolle über einen andern hatte. So war es auch bei mir. Allerdings habe ich mich daraus gelöst.«
»Ich will jetzt nicht indiskret erscheinen, aber zeigte er diese Brutalität zeitweise auch, wenn Sie intim miteinander waren?«
»Ja, auch dann. Fragen Sie mich aber nicht, warum das so war.«
»Wie hat er denn reagiert, als Sie mit ihm Schluss gemacht haben? Wurde er da nicht ziemlich sauer?«
»Welcher Mann steht schon gerne als Verlierer da?«, antwortete sie lapidar.
Brandt erhob sich, nicht ohne vorher seinen Orangensaft ausgetrunken zu haben, und sagte: »Meine Karte haben Sie ja sicherlich noch, oder?«
»Ich weiß nicht, wo mein Mann sie hingelegt hat.«
»Hier, die ist für Sie. Wenn Ihnen noch irgendetwas einfällt, was mir weiterhelfen könnte, den Mörder Ihres Schwagers zu finden, ich bin rund um die Uhr erreichbar. Danke für das Gespräch, ich muss wieder los.«
»Keine Ursache.«
»Ach ja, hätt ich beinahe vergessen – wann kommt Ihr Mann wieder, ich müsste mich auch mit ihm noch einmal unterhalten?«
»Morgen Mittag. Die genaue Uhrzeit kann ich Ihnen allerdings nicht sagen, es kann zwölf, aber auch zwei werden. Er ist in Chicago, und diese Flüge kommen manchmalfrüher, manchmal auch später, aber nur selten pünktlich. Das hat mit den Windverhältnissen zu tun. Sie verraten ihm doch aber nichts von unserem Gespräch, oder?«, fragte sie besorgt.
»Keine Angst, meine Lippen sind versiegelt.«
Er reichte ihr die Hand. Ihre war kalt, obwohl es in dem Zimmer recht warm war. Er hatte ein seltsames Gefühl in der Magengegend, als er das Haus verließ. Christine Wedel hatte sich auffällig verhalten, ohne dass er dieses Auffällig konkret hätte beschreiben können. Was immer es war, irgendetwas stimmte nicht an dem, was sie gesagt hatte. Er schaute auf die Uhr, zehn vor halb drei. Noch genügend Zeit, um an einer Imbissbude zu halten und
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