Mord hat keine Tränen: Ein Fall für Jessica Campbell (German Edition)
es nicht? Ich warte draußen vor dem Gatter, versperre den Weg hinein und hinaus, genau wie Sie beide versuchen, mir den Blick in diese Scheune oder diesen Stall oder was auch immer es ist zu verwehren. Keine der beiden Frauen kann von hier weg. Keine der beiden Frauen kommt weit ohne Transportmöglichkeit. Ich werde so lange bleiben, wie es dauert, und früher oder später müssen sie nach draußen kommen und sich stellen.«
»Was wollen Sie von ihnen?«, verlangte Colley trotzig zu erfahren.
»Das ist eine Polizeiangelegenheit und geht Sie nichts an.« Sie zögerte. »Ich würde jetzt gerne einen Blick in diese Scheune werfen, Sir. Ich wäre Ihnen zu Dank verbunden, wenn Sie mir die Genehmigung dazu geben würden. Nun, Mr. Colley?«
Vater und Sohn wechselten Blicke. Gary sah aus, als wollte er sich immer noch widersetzen. Dann zuckte Dave unerwartet die Schultern. »Tun Sie, was Sie nicht lassen können, wenn es Sie glücklich macht. Es hat nichts mit uns zu tun, Gary, oder?« In seiner Stimme schwang plötzlich ein drohender Unterton.
»Nein, Dad ...« Gary zögerte. »Du hast völlig recht«, sagte er unwillig.
»Das ist sehr vernünftig von Ihnen, Mr. Colley. Wenn Sie schon in Schwierigkeiten stecken, wollen Sie die Dinge sicher nicht noch schlimmer machen, richtig?«
Die beiden Colleys wichen gerade weit genug auseinander, um Jess den Weg ins Innere des Gebäudes zu ermöglichen. Sie betrat den einstigen Stall und fand sich in einem verlorenen Zeitalter wieder. Ringsum fanden sich Zeichen seiner früheren wie seiner gegenwärtigen Nutzung. Das hintere Ende bestand noch immer aus Stallboxen. Staubige Geschirre hingen an Haken von den Wänden, das Leder ausgetrocknet und rissig. Über einer Box hing noch immer ein Schild mit der gemalten Inschrift »Brutus«. Falls Brutus ein Kutschpferd gewesen war, wie hatte das zweite Pferd geheißen? Cäsar? Wie dem auch sei, moderne Zeiten waren angebrochen. Vergangen waren die Eleganz von Kutschwagen und Gespann, gewichen einem schmutzüberkrusteten Traktor am Ende des offenen Scheunenbereichs. An der Rückwand führte eine Holztreppe nach oben auf den Dachboden. Die Luft war muffig und juckte ihr in der Nase.
»Mrs. Harwell? Tansy?«, rief Jess. »Ich bin es, Inspector Jess Campbell! Wenn Sie dort oben stecken, kommen Sie doch bitte herunter! Ich muss mit Ihnen beiden reden.«
Stille. Sie spürte so etwas wie ein kollektives Luftanhalten. Eine leichte Bewegung hinter ihr, begleitet vom Verschwinden eines der beiden Schatten, die den Eingang blockierten, veranlasste Jess, den Kopf zu drehen. Dave Colley stand immer noch an Ort und Stelle und beobachtete sie verdrießlich vom offenen Tor her. Gary hingegen war verschwunden. Wohin? Jess wurde nervös, als sie ihn nirgendwo sehen konnte. In diesem Moment ertönte ein leises Knarren über ihrem Kopf.
»Ich komme jetzt rauf!«, rief sie.
Langsam stieg sie die Holztreppe hinauf. Die Stufen knarrten unheilverkündend unter ihren Schritten, und sie packte den Handlauf. Sie spürte den Blick von Dave Colley, der jede ihrer Bewegungen verfolgte. Er selbst hatte sich nicht vom Fleck bewegt - Gott sei Dank. Aber wo war der elende Gary geblieben?
Jess erreichte den oberen Treppenabsatz und den Dachstuhl. Hoch über ihr ragten die alten Sparren auf, überkrustet von Myriaden von Spinnenweben. Der Dachboden war übersät von allem möglichen Plunder, antik und modern, von alten Werkzeugen, Möbeln, Umzugskartons, Kisten - manches sah aus, als stünde es seit Jahrzehnten dort. In den Ecken gab es sogar noch Überreste von Heu aus Edwards Zeiten. Jess konnte sich nicht vorstellen, was die Colleys mit all dem Plunder anstellen wollten. Vielleicht war es ihnen einfach zu aufwändig, irgendetwas davon wegzuwerfen. Vielleicht behielten sie es genauso wie das alte Geschirr, nutzlos geworden, doch Teil des Ganzen. Der Dachboden war hell, viel heller als das Erdgeschoss. Das Licht strömte durch eine der deckenhohen Öffnungen, durch die früher einmal Heu auf den Dachboden gebracht worden war, um Brutus und seinen Kameraden im Winter zu füttern.
Bridget Harwell stand vor dieser Öffnung, viel zu nah für Jess' Geschmack - vermutlich steckte Absicht dahinter, um Jess am Näherkommen zu hindern.
»Wo ist Tansy?«, fragte Jess.
»Wir hatten einen neuen Streit«, sagte Bridget mit spröder Stimme. »Sie ist nach draußen gestürmt und zum Shooter's Hill gelaufen, um sich irgendwo zu beruhigen.«
Also hatte Dave beinahe die Wahrheit
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