Mord hat keine Tränen: Ein Fall für Jessica Campbell (German Edition)
ging zur Tür. Sie stand einen Spaltbreit offen. Monty, der in sein Heim zurückgekehrt war, hatte anscheinend die schlechten alten Gewohnheiten wieder aufgenommen. Jess trat ein und blieb einen Moment stehen, während sie lauschte und zur Treppe sah, die von der durch das Isebel-Bleiglasfenster scheinenden Sonne in Flecken aus gelbem und rotem Licht getaucht wurde. Aus dem Wohnzimmer kamen Stimmen. Die Fahrerin des Megane. Wer mochte sie nun wieder sein? Jess bewegte sich in Richtung des Geräuschs.
Das Wohnzimmer war noch unordentlicher als zuvor, so schwierig die Vorstellung auch gewesen sein mochte, als Jess den Raum zum ersten Mal zu Gesicht bekommen hatte. Es sah aus, als wäre ein Tornado hindurchgegangen. Die Luft war schwanger vom aufgewirbelten Staub vieler Jahre, und Jess musste sich die Nase zuhalten, um nicht zu niesen. Schränke und Schubladen standen offen, und ihr Inhalt lag über den ausgebleichten Teppich verteilt. Was um alles in der Welt ging hier vor? War ein Einbrecher zugange und räumte das Haus leer?
Dann sah Jess, dass Monty mitten in dem ganzen Chaos in einem Lehnsessel saß. Er hielt die Armlehnen so fest gepackt, dass die Adern auf seinen Händen vorstanden wie Taue. Er funkelte eine unbekannte Frau im mittleren Alter an, die einen beruhigend normalen und alles andere als bedrohlichen Eindruck erweckte. Genauso wenig, wie Monty Schrecken oder Angst ausstrahlte, sondern lediglich einen schwelenden Unmut. Die fremde Frau bewegte sich durch das Zimmer, nahm Gegenstände auf und sortierte sie in eine von mehreren großen Holzkisten. Während sie auf diese Weise beschäftigt war, führte sie eine einseitige Unterhaltung mit Monty, indem sie tat, als fragte sie ihn um seine Meinung.
»Was ist mit diesen hier?« Sie hielt zwei Schafhirten aus Porzellan hoch. »Willst du die mitnehmen, als Erinnerung? Sie sind sehr hübsch und würden sich bestimmt gut machen in deinem neuen Heim.«
»Weg damit!«, grollte Monty. »Raus mit diesem Kram!«
»Unsinn! Ganz und gar nicht! Ich werde sie in die Kiste für den Auktionator legen. Sie sind viel zu schade für Oxfam und wahrscheinlich eine hübsche Summe wert. Sie sollten jedenfalls ordentlich geschätzt werden.«
In diesem Moment bemerkte sie Jess, die in der Tür stand und die Unterhaltung verfolgte. Sie hielt inne. »Hallo?«, sagte sie, und es gelang ihr, gleichzeitig eine Begrüßung und eine Frage in dieses eine Wort zu legen.
»Inspector Campbell«, stellte Jess sich vor und zog ihren Ausweis. »Ich bin vorbeigekommen, weil ich sehen wollte, wie es Monty geht.«
»Überhaupt nicht geht es!«, beschwerte sich Monty laut, bevor die fremde Frau für ihn antworten konnte. Er deutete auf seine Helferin. »Ihr Name lautet Hilda, und sie ist mit irgendjemandem aus der Familie verheiratet.«
»Ich bin Hilda Potter«, erklärte die Frau. »Die Mutter meines Mannes war eine Bickerstaffe«, fügte sie voller Stolz hinzu.
»Man könnte glatt meinen, das wäre etwas Besonderes!«, schnarrte Monty. »Na ja, auf gewisse Weise ist es das wohl auch. Es ist nämlich ausgesprochen grässlich. Ein richtiger Fluch!«
»Also wirklich, Monty ...!«, begann Hilda. »Das meinst du doch wohl nicht im ...«
»Was weißt denn du schon?«, unterbrach Monty sie unhöflich. Er drehte sich zu Jess um. »Sie packen meine Sachen. Sie vertreiben mich aus meinem eigenen Haus! Ich soll in so ein verdammtes Wohnheim!«
»Dort wirst du es sehr komfortabel haben«, sagte Hilda unerschrocken. »Möchtest du das ein oder andere von deinen Büchern behalten?«
»Nein!«, schnappte Monty. »Diese Dinger hat seit fünfzig Jahren niemand mehr aufgeschlagen! Ich fange bestimmt nicht jetzt noch an, darin zu lesen!«
»Ich denke, wir bitten einen antiquarischen Buchhändler, einen Blick darauf zu werfen. Man kann schließlich nie wissen.«
Monty erhob sich aus seinem Sessel. »Kommen Sie«, sagte er zu Jess. »Gehen wir in die Küche. Sie macht mich völlig verrückt!«
»Schon gut, ich habe verstanden«, sagte Hilda gekränkt. »Du bleibst hier und hältst deinen Plausch mit der Inspektorin. Ich gehe nach oben und fange dort schon mal an.«
»Sehen Sie, wie weit es gekommen ist?«, fragte Monty, als Hilda gegangen war. Er sank zurück in seinen Sessel und deutete auf einen zweiten. »Setzen Sie sich doch, meine Liebe. Möchten Sie vielleicht einen Schluck Whisky? Die Flasche ist in dieser Kohlenschütte versteckt. Hilda hat sie bis jetzt noch nicht entdeckt.«
»Danke, aber
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