Mord hat keine Tränen: Ein Fall für Jessica Campbell (German Edition)
haben. Sie wussten, dass Bickerstaffe nicht nach oben gehen würde. Es lässt vermuten, dass sie den Ort ihres Stelldicheins genau wegen dieser Ungestörtheit ausgewählt haben. Sie kannten die Gewohnheiten des Bewohners. Warum also haben sie sämtliche Fingerabdrücke entfernt, wenn das Risiko einer Entdeckung so gering war?«
Carter lehnte sich zurück und verschränkte die Hände. Für einen Moment sahen er und Jess sich schweigend an. »Wo ist Sergeant Morton zurzeit?«, fragte Carter schließlich.
»Er ist draußen bei den Nachbarn und zieht dort Erkundigungen ein. Gleich neben Balaclava House wohnt eine Familie namens Colley, die einen kleinen Schweinehof unterhält. Man kann den Hof vom Haus aus nicht sehen, wegen einer Kurve in der Straße, aber man kann ihn sehr deutlich riechen.«
»Nette Nachbarn«, murmelte Carter.
»Ich nehme nicht an, dass sich Monty Bickerstaffe am Gestank der Schweine stört«, entgegnete Jess. »Wie dem auch sei, es gibt eine weitere, größere Farm ein Stück weiter. Sie gehört einem gewissen Pete Sneddon. Ich glaube nicht, dass uns die Colleys weiterhelfen werden. Falls sie etwas wissen, behalten sie es für sich. Sie gehören nicht zu der Sorte, die freiwillig mit dem Gesetz kooperiert. Ich schätze, bei Sneddon werden wir mehr Erfolg haben.«
»Ich würde Mr. Bickerstaffe gerne kennenlernen«, sagte Carter.
Jess öffnete den Mund, doch er kam ihrem Protest zuvor. »Keine Sorge. Ich schlage nicht vor, Sie heute Nachmittag zu begleiten. Bickerstaffe kennt Sie bereits. Ein Fremder, der zusammen mit Ihnen auftaucht, könnte ihn erschrecken«, sagte er. »Ich denke, ich werde auch so schon bald genug eine Gelegenheit finden, seine Bekanntschaft zu machen.«
Während Jess mit Superintendent Carter ihre Unterredung hatte, besuchte Sergeant Phil Morton die Colley-Familie, um sie zu befragen. Er stand am Tor, das den unbefestigten Weg zum Grundstück der Colleys versperrte, und las die handschriftliche Mahnung: » WARNUNG VOR DEN BISSIGEN H UNDEN «. Morton hatte seinen Wagen am Straßenrand geparkt und ursprünglich geplant, zu Fuß bis zum Haus zu laufen, doch nicht, wenn bissige Hunde unterwegs waren. Er streckte die Hand aus, um das Tor zu öffnen und hindurchzufahren, und im gleichen Moment setzte - als hätten sie nur darauf gewartet, dass ein Fremder das Grundstück zu betreten versuchte - wütendes Gebell ein. Die Tiere veranstalteten einen Höllenlärm, doch sie tauchten nicht vor Morton auf.
Während er zögernd dastand, erschien eine ältere, untersetzte Frau. Sie kam zum Tor und blieb auf der anderen Seite stehen. Klein, breit, mit strähnigen grauen Haaren und einem sonnenverbrannten Gesicht stand sie auf kurzen Beinen da. Sie trug einen weiten schmuddeligen Kittel und hielt einen Eimer in der Hand.
»Wer sind Sie?«, wollte sie von Morton wissen. Die Frage verblüffte ihn - nicht so sehr wegen der Worte, sondern wegen des Klangs ihrer Stimme. Sie war so tief wie die eines Mannes und von einer heiseren Rauheit, die lebenslangen Missbrauch von Alkohol und Tabak vermuten ließ. Bevor er antworten konnte, fuhr sie fort: »Ein Constable, wage ich zu behaupten, der wegen dieser Geschichte im Balaclava House vorbeigekommen ist.« Sie winkte mit einem schmutzigen Daumen in die allgemeine Richtung von Monty Bickerstaffes Heim.
Morton zückte seinen Dienstausweis, doch sie warf kaum mehr als einen oberflächlichen Blick darauf. »Sind Sie Mrs. Colley?«, wollte er von ihr wissen.
»Ich bin eine von zwei Mrs. Colleys«, antwortete sie. »Meine Schwiegertochter Maggie ist die andere.«
»Ich würde mich gerne mit Ihnen und dem Rest der Familie unterhalten«, fuhr Morton fort. »Sind alle zu Hause?«
»Sie sind auf den Weiden oder in den Ställen. Sie dürfen reinkommen. Ich bringe sie zu Ihnen.«
Morton öffnete das Tor und blickte nervös über die Schulter der Alten in den Hof. Sie hatte sich bereits umgewandt und ging den Weg zum Haus zurück. »Die Hunde sind im Zwinger«, rief sie ihm ohne anzuhalten zu.
Morton folgte ihr, neugierig darauf, den Ort zu sehen, den die Colleys ihr Zuhause nannten. Er tauchte auf, als sie eine leichte Kurve umrundeten, und Morton stellte überrascht fest, dass es mehrere Gebäude waren. Welch ein Durcheinander!, dachte er. Ein wenig von allem. Ohne viel von Architektur zu verstehen, sah er, dass die verschiedenen Teile zu verschiedenen Zeiten und in mehreren Fällen wahrscheinlich auch zu verschiedenen Zwecken errichtet worden
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