Mord im Herbst: Roman (German Edition)
warten. Da können die Journalisten es auch.«
Den Rest des Tages widmete Wallander einer Ermittlung, in der es um einen Polen ging. Bei einem zur Prügelei ausgearteten Saufgelage hatte der Pole einen Bewohner Ystads erschlagen. Viele Menschen waren bei der Sauforgie zugegen gewesen, aber jeder hatte etwas anderes gesehen – oder gar nichts. Der Pole, der als mutmaßlicher Täter galt, änderte ständig seine Aussagen. Wallander hatte mit den Beteiligten stundenlange trostlose Gespräche geführt. Er hatte mit dem Staatsanwalt darüber gesprochen, ob es sich wirklich lohnte, die Ermittlung fortzuführen. Aber der Staatsanwalt war jung und beflissen und hatte darauf bestanden. Ein Mann, ob betrunken oder nicht, der einen anderen Menschen, der ebenso betrunken war, erschlagen hatte, sollte seine Strafe bekommen. Dagegen konnte Wallander natürlich nicht argumentieren. Aber seine Erfahrung sagte ihm, dass man doch keine Klarheit erlangen würde, soviel er oder ein Kollege sich auch mit der Ermittlung befasste.
Dann und wann kam Martinsson herein und berichtete, dass Stina Hurlén noch nichts von sich hatte hören lassen. Kurz nach zwei stand Linda in der Tür und fragte, ob er nicht zu Mittag essen wolle. Er schüttelte den Kopf und bat sie, ihm ein Sandwich mitzubringen, wenn sie hinausginge. Nachdem sie das Zimmer verlassen hatte, dachte er, dass er sich immer noch nicht daran gewöhnt hatte, eine erwachsene Tochter zu haben, noch dazu eine Polizistin, die auf der gleichen Dienststelle arbeitete wie er.
Linda brachte ihm das Sandwich in einer Tüte. Wallander legte die umfangreiche Akte mit dem Material über das Saufgelage, das mit einem Mord geendet hatte, zur Seite. Er aß das Sandwich, schloss die Tür und lehnte sich im Sessel zurück, um auszuruhen. Wie üblich nahm er ein Schlüsselbund in die Hand. Wenn er es fallen ließ, war er eingeschlafen, und dann war es Zeit, wieder wach zu werden.
Bald schlief er. Das Schlüsselbund rasselte zu Boden. Im gleichen Moment öffnete Martinsson die Tür.
Wallander wusste sofort, dass Stina Hurlén jetzt von sich hatte hören lassen.
9.
Der vorläufige, aber in keiner Weise endgültige gerichtsmedizinische Bericht war von einem Boten aus Lund gebracht worden. Er lag auf Martinssons Tisch.
»Ich glaube, du liest es am besten selbst«, sagte Martinsson.
»Das bedeutet also, dass der Skelettfund zu dem wird, was wir vermutet haben? Eine Verbrechensermittlung?«
»Es sieht so aus.«
Während Wallander las, holte Martinsson Kaffee. Stina Hurlén schrieb einfach und klar. Wallander hatte sich im Laufe der Jahre oft gefragt, warum einige Polizisten oder Gerichtsmediziner, Staatsanwälte oder Verteidiger zuweilen so hoffnungslos unverständliche Texte schrieben. Sie spuckten Wortkaskaden aus, statt einfache und klare Sätze zu bilden.
Er brauchte gut zehn Minuten, um den Bericht durchzulesen. Wenn er wichtige Dokumente in Händen hielt, zwang er sich, langsam zu lesen, damit seine Gedanken Schritt halten konnten.
Stina Hurlén berichtete, dass es sich bei dem Skelett mit Sicherheit um das einer Frau handelte. Ihrer Einschätzung nach war die Frau zum Zeitpunkt ihres Todes ungefähr fünfzig Jahre alt gewesen. Für eine genauere Altersbestimmung waren weitere Analysen erforderlich. Doch Stina Hurlén konnte bereits jetzt die Todesursache nennen: Die Frau war erhängt worden. Darauf deutete ein Bruch im Nacken hin. Natürlich war nicht auszuschließen, dass der Schaden der Frau nach ihrem Tod zugefügt worden war. Doch dies hielt Stina Hurlén für unwahrscheinlich. Sie konnte noch nicht genau sagen, wie lange die Frau bereits tot war. Es gab jedoch Indizien dafür, dass sie viele Jahre in ihrem Grab gelegen hatte.
Wallander legte den Bericht auf den Tisch und nahm die Kaffeetasse, die Martinsson ihm hingestellt hatte.
»Fassen wir zusammen«, sagte Wallander. »Was wissen wir?«
»Ungewöhnlich wenig. Eine tote Frau in einer Grube in einem Garten in Löderup. Die bei ihrem Tod ungefähr fünfzig Jahre alt war. Aber wann sie starb, wissen wir nicht. Wenn ich Hurlén richtig verstehe, kann die Frau hundert Jahre da gelegen haben. Oder mehr.«
»Oder weniger«, sagte Wallander. »Wie heißt der Besitzer des Hauses? Dein Verwandter?«
»Karl Eriksson. Ein Cousin meiner Frau.«
»Ich nehme an, das Beste wäre, mit ihm zu reden.«
»Nein«, entgegnete Martinsson. »Das halte ich für keine gute Idee.«
»Warum nicht?«
»Er ist krank. Und alt.«
»Alt
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