Mord im Herbst: Roman (German Edition)
schnellen Schritten den Flur hinunter. Martinsson hinter ihm kam kaum mit.
»Ich fürchtete, du würdest einen Wutanfall bekommen«, sagte er. »So einen richtig fiesen Wutanfall, passend zu einem Montag im Oktober, wenn der Winter nicht mehr fern ist.«
»Du redest zu viel«, sagte Wallander. »Hol deine Jacke, dann fahren wir aufs Land.«
10.
Als sie in Löderup ankamen, waren fast alle Scheinwerfer ausgeschaltet. Eine Plane deckte die Grube ab, in der sie das Skelett gefunden hatten. Vor der Absperrung stand ein Polizeifahrzeug. Nyberg und die anderen Techniker waren verschwunden. Wallander hatte noch immer die Hausschlüssel in der Tasche. Er reichte Martinsson das Schlüsselbund.
»Diesmal bin ich nicht zur Besichtigung hier. Es sind deine Schlüssel, schließ du auf.«
»Warum muss immer alles so kompliziert sein?«, fragte Martinsson.
Er erwartete keine Antwort. Sie traten ins Haus und machten Licht.
»Grundbucheintragungen«, sagte Wallander. »Papiere, die die Geschichte des Hauses erzählen. Damit können wir uns eine Weile beschäftigen. Danach warten wir, bis die Spurensicherung und die Ärzte ihre Aussagen gemacht haben.«
»Ich habe Stefan gebeten, ein bisschen in den alten Berichten über verschwundene Personen zu suchen«, sagte Martinsson. »Linda wollte ihm dabei helfen.«
Stefan Lindman war ungefähr zur gleichen Zeit wie Linda zur Polizei von Ystad gekommen. Wallander hatte bald bemerkt, dass die beiden eine Art Verhältnis hatten. Wenn er versuchte, mit Linda darüber zu sprechen, reagierte sie meistens ablehnend. Wallander mochte Stefan Lindman. Er war ein guter Polizist. Aber Wallander fiel es schwer, sich mit dem Gedanken anzufreunden, dass seine Tochter ihn nicht mehr für den wichtigsten Mann in ihrem Leben hielt.
Sie begannen an entgegengesetzten Enden des Hauses, Martinsson im Schlafzimmer, Wallander im Wohnzimmer, das anscheinend eine Mischung aus guter Stube und Arbeitsraum darstellte.
Als Martinsson ihn allein gelassen hatte, stand Wallander einen Augenblick ganz still da und ließ den Blick und die Gedanken durchs Zimmer schweifen. Hatte hier einmal eine Frau gelebt, die aus irgendeinem Grund ermordet und im Garten verscharrt worden war? Warum hatte niemand sie vermisst, wenn sie hier gelebt hatte? Was hatte sich hier abgespielt? Vor zwanzig Jahren? Vor fünfzig Jahren? Vielleicht vor hundert Jahren?
Wallander begann methodisch zu suchen. Zuerst mit den Augen. Menschen hinterließen immer Spuren. Und sie waren wie Hamster. Sie horteten Dinge, nicht zuletzt Papiere. Sein Blick fiel auf einen Schreibtisch vor einem der Fenster. Dort würde er anfangen zu suchen. Der Schreibtisch war dunkelbraun, sicher sehr alt. Wallander setzte sich auf den Schreibtischstuhl und versuchte die Schubladen herauszuziehen. Sie waren verschlossen. Er suchte auf der Tischplatte nach einem Schlüssel. Dann tastete er mit den Fingern die Unterkante der Tischplatte ab. Nichts. Er hob die schwere Tischlampe aus Messing an. Da lag ein Schlüssel mit einem dünnen Seidenband.
Er öffnete die Tür des Seitenteils. Dahinter waren fünf Schubladen. Die oberste war voller alter Füller, leerer Tintenfässer, Brillen und Staub. Wallander dachte, dass nichts ihn so deprimieren konnte wie der Anblick alter Brillen, nach denen niemand mehr fragte. Er öffnete die nächste Schublade. Darin lag ein Bündel von Kopien alter Steuererklärungen. Die älteste stammte aus dem Jahr 1952. In diesem Jahr hatten Karl Eriksson und seine Frau Einkünfte von 2900 Kronen versteuert. Er versuchte sich vorzustellen, ob das eine erstaunlich niedrige Summe war oder ob es das war, was man hätte erwarten können. Er entschied sich für die erste Möglichkeit. Die dritte Schublade enthielt mehrere Kalender. Wallander blätterte einige davon durch. Es fanden sich keine persönlichen Einträge, nicht einmal Geburtstage, es ging nur um den Kauf von Saatgetreide, Reparaturkosten eines Mähdreschers, ein neues Rad für den Traktor. Er legte die Kalender zurück. Jedes Mal, wenn er in den persönlichen Sachen anderer Menschen suchte, fragte er sich, wie jemand es ertragen konnte, ein Dieb zu sein. Täglich in der Kleidung und den Habseligkeiten anderer Menschen herumzuwühlen.
Wallander öffnete die vierte und vorletzte Schublade. Dort fand er, was er suchte. Einen Ordner mit der Aufschrift »Unterlagen Haus«, mit Tinte geschrieben. Vorsichtig holte er ihn hervor, zog die Schreibtischlampe heran, richtete das Licht auf die Seiten
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