Mord im Herbst: Roman (German Edition)
ausziehen sollen, doch sie hatte noch keinen Mietvertrag für die ihr zugesagte Wohnung. Er hörte, dass sie sich meldete, und dachte, dass er sich nicht zu kümmern brauchte. Am Vortag war Martinsson gesundgeschrieben worden und hatte versprochen, Wallander nicht zu stören.
Sonst rief ihn niemand an, schon gar nicht am frühen Sonntagmorgen. Dagegen führte Linda tagtäglich endlose Gespräche über ihr Handy. Er hatte darüber nachgedacht. Er selbst hatte ein kompliziertes Verhältnis zu Telefonen. Jedes Mal, wenn es klingelte, fuhr er zusammen, im Unterschied zu Linda, die große Teile ihres Alltags über das Telefon abzuwickeln schien. Der Grund war schlicht und einfach der, dass sie verschiedenen Generationen angehörten.
Die Schlafzimmertür ging auf. Er fuhr sofort aus der Haut.
»Kannst du nicht anklopfen?«
»Aber ich bin’s doch nur.«
»Wäre es dir vielleicht recht, wenn ich die Tür zu deinem Zimmer aufreißen würde, ohne anzuklopfen?«
»Ich schließe meine Tür ab. Am Telefon will dich jemand sprechen.«
»Mich ruft nie jemand an.«
»Jetzt tut es aber jemand.«
»Wer ist es denn?«
»Martinsson.«
Wallander setzte sich im Bett auf. Sie betrachtete missbilligend seinen nackten Bauch. Aber sie sagte nichts. Es war Sonntag. Sie hatten eine Absprache getroffen, dass, solange sie in seiner Wohnung lebte, die Sonntage ein Freiraum waren, wo keiner den anderen kritisieren durfte. Die Sonntage waren zu Tagen der Freundlichkeit deklariert worden.
»Was will er?«
»Das hat er nicht gesagt.«
»Ich habe heute frei.«
»Ich weiß nicht, was er will.«
»Kannst du nicht sagen, dass ich nicht da bin?«
»Herrgott!«
Sie machte kehrt und verschwand in ihr Zimmer. Wallander schlurfte in die Küche und nahm den Hörer auf. Draußen regnete es. Aber die Wolken waren nicht sehr dicht, er ahnte blaue Tupfer am Himmel.
»Ich dachte, ich hätte heute einen freien Tag!«
»Das hast du auch«, entgegnete Martinsson.
»Was ist passiert?«
»Nichts.«
Wallander spürte, dass er ärgerlich wurde. Rief Martinsson an, ohne einen Grund zu haben? Das sah ihm nicht ähnlich.
»Und warum rufst du an? Ich schlafe.«
»Warum hörst du dich so wütend an?«
»Ich bin wütend.«
»Ich glaube, ich habe vielleicht ein Haus für dich. Auf dem Land. Nicht weit von Löderup.«
Wallander dachte seit vielen Jahren daran, seine Wohnung in der Mariagatan im Zentrum von Ystad aufzugeben und aufs Land zu ziehen. Er würde sich einen Hund anschaffen. Nachdem sein Vater vor einigen Jahren gestorben war und Linda ausziehen wollte, hatte er immer häufiger das Bedürfnis, sein Leben zu verändern. Mehrere Male hatte er sich Häuser angesehen, die von Maklern angeboten wurden, aber er hatte nie das Richtige gefunden. Ein paarmal hatte er das Gefühl gehabt, fast am Ziel zu sein, aber dann war der Preis unerschwinglich gewesen. Sein Gehalt und seine Ersparnisse reichten nicht aus. Als Polizeibeamter konnte er keine größeren Summen zurücklegen.
»Bist du noch da?«
»Ich bin noch da. Erzähl mir ein bisschen mehr.«
»Ich kann gerade nicht. Bei Åhléns ist anscheinend heute Nacht eingebrochen worden. Aber wenn du vorbeikommst, kann ich dir mehr erzählen. Und ich habe die Schlüssel hier.«
Martinsson legte auf. Linda kam in die Küche und holte sich eine Tasse Kaffee. Sie sah ihn fragend an und goss ihm dann auch eine Tasse ein. Sie setzten sich an den Küchentisch.
»Musst du arbeiten?«
»Nein.«
»Was wollte er dann?«
»Mir ein Haus zeigen.«
»Er wohnt doch in einem Reihenhaus. Wolltest du nicht aufs Land?«
»Du hörst mir nicht zu. Er will mir ein Haus zeigen. Nicht sein Haus.«
»Was für ein Haus denn?«
»Ich weiß nicht. Willst du mitkommen?«
Sie schüttelte den Kopf.
»Ich habe was anderes vor.«
Er fragte nicht weiter nach. In dieser Hinsicht glich sie ihm. Sie erklärte nicht mehr als nötig. Eine Frage, die nicht gestellt wurde, verlangte auch nicht nach einer Antwort.
2.
Kurz nach zwölf ging Wallander ins Präsidium. Als er auf die Straße trat, war er einen Moment unschlüssig, ob er den Wagen nehmen sollte. Doch sein Gewissen meldete sich sofort. Er hatte zu wenig Bewegung. Außerdem stand Linda bestimmt am Fenster und sah ihm nach. Würde er den Wagen nehmen, bekäme er es nachher von ihr zu hören.
Er ging zu Fuß.
Wir sind wie ein altes Ehepaar, dachte er. Oder ein Polizeibeamter in mittleren Jahren mit einer viel zu jungen Frau. Zuerst war ich mit ihrer Mutter
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