Mord im Herbst: Roman (German Edition)
wütend wurde. Schon als Teenager hatte Linda ihm vorgeworfen, sein Leben ständig unnötig kompliziert zu machen. Was ihn daran am meisten ärgerte, war die Tatsache, dass Linda ihn dann an ihre Mutter Mona erinnerte. Außerdem hatte sie die gleiche Stimme. Wenn Wallander die Augen schloss, konnte er raten, wer ihm eigentlich hier am Küchentisch gegenübersaß.
»Jetzt hören wir auf damit«, sagte Wallander und spülte seinen Becher aus.
»Ich gehe schlafen«, antwortete Linda.
Wallander blieb noch sitzen und sah fern bei ausgeschaltetem Ton. Auf einem Kanal lief ein Film über Pinguine.
Plötzlich fuhr er aus dem Schlaf hoch. Es war vier Uhr. Der Fernseher rauschte. Er schaltete ihn ab und beeilte sich, ins Bett zu kommen, bevor er wieder ganz wach geworden war.
8.
Es war zwei Minuten nach acht Uhr am Montag, dem 28. Oktober, als Wallander die Tür eines der Sitzungszimmer im Polizeipräsidium hinter sich schloss. Nachdem er vor dem Fernseher wach geworden war, hatte er schlecht geschlafen. Dann war auch noch sein Rasierapparat kaputtgegangen. Er war unrasiert und fühlte sich ungepflegt. Um den Tisch herum saßen die Menschen, an die er von seiner Arbeit her gewöhnt war. Mit einigen von ihnen arbeitete er seit mehr als fünfzehn Jahren zusammen. Er dachte flüchtig, dass sie einen wesentlichen Teil seines Lebensinhalts ausmachten. Er war jetzt der Dienstälteste bei der Kriminalpolizei in Ystad. Einst war er der Jüngste gewesen.
Außer Wallander selbst nahmen Nyberg, Martinsson und die Polizeipräsidentin Liza Holgersson an der Sitzung teil. Sie war die erste weibliche Vorgesetzte, unter der Wallander je gearbeitet hatte. Anfangs, irgendwann in den Neunzigerjahren, als sie nach Ystad gekommen war, hatte er Vorbehalte gehabt wie alle anderen, hauptsächlich männlichen Polizisten. Aber er hatte schnell erkannt, dass Liza Holgersson sehr kompetent war. Sie war vielleicht die beste Chefin seines Berufslebens. Und obwohl sie auch heftige Kontroversen ausgefochten hatten, musste er mit den Jahren seine Meinung über sie nicht ändern.
Wallander atmete einmal tief durch und wandte sich Nyberg zu, danach Martinsson, der schon mit Stina Hurlén gesprochen hatte.
Nyberg war erschöpft und sah Wallander mit geröteten Augen an. Er hätte bereits pensioniert sein können, hatte es sich jedoch plötzlich anders überlegt. Wallander war nicht verwundert. Ohne seine Arbeit, allen Unannehmlichkeiten zum Trotz, würde Nyberg dem Leben wenig Sinn abgewinnen.
»Ein toter Körper«, sagte Nyberg. »Ein Skelett, ein paar vermoderte Kleidungsreste. Es ist nicht meine Aufgabe, zwischen Knochen nach Todesursachen zu suchen. Aber nichts schien zerbrochen oder zerschlagen zu sein. Sonst habe ich nichts gefunden. Natürlich stellt sich die Frage, ob wir den ganzen Garten umgraben sollten.«
»Und die neue Maschine?«, fragte Liza Holgersson. »Wie hat sie funktioniert?«
»Genau wie ich erwartet habe«, knurrte Nyberg. »Der reine Scheißdreck, den irgendein Idiot der schwedischen Polizei aufgeschwatzt hat. Warum bekommen wir keinen Leichenspürhund?«
Wallander konnte sein Lachen kaum zurückhalten. Auch wenn Nyberg zuweilen mürrisch und die Zusammenarbeit mit ihm nicht immer leicht war, so hatte er doch einen ganz besonderen Humor. Außerdem teilte Wallander seine Ansichten.
»Stina Hurlén braucht noch Zeit«, sagte Martinsson, während er in seinem Notizblock blätterte. Die Knochen müssen untersucht werden. Sie geht aber davon aus, uns im Laufe des Tages mehr sagen zu können.«
Wallander nickte.
»Das ist alles, was wir haben«, sagte er. »Nicht viel. Aber wir müssen darauf vorbereitet sein, dass dies hier ein Mordfall ist. Im Moment warten wir ab, was Stina Hurlén noch herausfindet. Wir können aber schon mal anfangen, uns mit der Geschichte dieses Hauses und den Menschen zu beschäftigen, die es bewohnt haben. Ist ein Mensch verschwunden? Die Frage können wir stellen. Weil das Haus einem Verwandten von Martinsson gehört, ist es vielleicht das Beste, wenn du dich darum kümmerst.«
Zum Zeichen dafür, dass die Sitzung beendet war, ließ Wallander die Hände auf die Tischplatte fallen. Liza Holgersson hielt ihn zurück, als sie den Raum verließen.
»Die Presse will mit dir reden«, sagte sie.
»Wir haben ein Skelett gefunden. Mehr können wir nicht sagen.«
»Du weißt doch, dass die Journalisten verschwundene Menschen lieben. Kannst du nicht ein wenig mehr sagen?«
»Nein. Wir Polizisten müssen
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