Mord Im Kloster
Sieger zurückgekehrt sein, um die Schiffe in Trümmer zu schlagen.
Gräuelmärchen, dachte Henri. Seemannsgarn von Walfängern, die in langen Nächten hinausstarren auf eine See, die nicht mit ihnen spricht.
Aber viele Matrosen hatten schließlich ihr Leben gelassen. Sie hatten den Pottwal gejagt und waren von ihm gejagt worden. War das nicht ausgleichende Gerechtigkeit?
Henri hatte noch nie daran gedacht. Aber jetzt fiel ihm eine Erzählung ein, die er ausgerechnet in Akkon gehört hatte, in der langen, letzten Nacht der Festung, in der bangen Erwartung des Falls. Ein baskischer Ritter hatte sie erzählt.
Walfänger waren in ihren kleinen Ruderbooten angegriffen worden. Im Handumdrehen wirbelten Riemen, Planken und Bootsleute in den aufgewühlten Wassern herum. Der Kapitän hatte das Kappmesser auf dem Bug seines zertrümmerten Bootes gezogen und sich dem angreifenden Pottwal entgegengeworfen. Mit der fünf Zoll langen Klinge schlitzte er die tief eingebettete Lebensader des Riesenfisches auf. Dann war der Pottwal zum Gegenangriff übergegangen. Er tauchte unter dem Kapitän hinweg, mit seinem sichelförmigen Unterkiefer schnappte er nach dem Bein des Waljägers und mähte es wie einen Grashalm ab. Kein Sarazene im Heiligen Krieg hätte einen Angreifer listiger und gezielter außer Gefecht setzen können.
Henri dachte: Die Menschen brauchen solche Geschichten. Und sie brauchen solche Sündenböcke. Auf den weißen Buckel solcher Wale häufen wir den ganzen Groll und Hass unseres gesamten Menschengeschlechtes. Wir müssen Acht geben, dachte Henri, dass wir nicht hassende Herzen bekommen. Wir dürfen nicht an unseren Leidenschaften zerschellen. Der Wahnsinn von uns Menschen nimmt ja oft krankhafte Formen an. Wir verrennen uns in eine unsinnige Kraft unserer Triebe.
Und er dachte noch einmal: Dieses Tier – greift es uns wirklich an? Will es uns töten? Tut nicht nur der Mensch solche Dinge?
Henri de Roslin wusste nicht, was er glauben sollte.
Die Nacht blieb undeutlich und dunkel. Unheimliche Schrecken schienen über den Wassern zu liegen. Die Männer starrten stumm voraus, sie mussten bei Verstand bleiben.
Die drei Freunde standen dicht nebeneinander, aber sie sprachen nicht über den Wal. Jeder dachte nur über sein bedrohliches Auftauchen nach. War dies nicht ein böses Omen für ihre eigene, gefahrvolle Zukunft?
In der vom Mond durchschienenen Dunkelheit schien Henri vor allem die weiße Farbe des Wals verwirrend. Sie erinnerte ihn an den weißen Marmor im Langhaus der Temple Church, die er so lange nicht mehr gesehen hatte. Aber dort war Weiß die Farbe der Freude, des Edlen, des Anrührenden. Von diesem Wal konnte man das nicht behaupten. Henri wusste, dass manche Heidenvölker das winterliche Sonnenwendopfer mit der Schlachtung eines weißen Hundes feierten, denn sie betrachteten dieses fleckenlose und unschuldige Tier als den reinsten Boten.
Dieser Pottwal aber hatte sich das Weiß angemaßt. Damit wollte er täuschen. Er wollte in Sicherheit wiegen.
Weiß, dachte Henri. Das Weiß verfolgt uns genauso wie sein Gegenteil, das Schwarz.
Henri de Roslin ließ seine Gedanken laufen, er erinnerte sich mit Stolz des weißen Habits, das er so lange getragen hatte. Der schneeweiße Umhang mit dem roten Tatzenkreuz. Die Farbe der Unschuld und der Treue. Die Farbe des Ehrwürdigen und Erhabenen. Aber wenn diese Farbe, die Henri mit freundlichen Bildern verband, jetzt von etwas Unheimlichem verkörpert wurde, wenn ein bösartig glotzendes Wesen der Meerestiefe es trug, dann verlor es seine Würde.
Es erschien ihm plötzlich Abscheu erregend. Weiß in dieser unheimlichen Gestalt war ekelhafter als das Rot des vergossenen Blutes.
Uthman sagte in seine Grübeleien hinein: »Ich freue mich auf Brest. Ich bin gespannt, ob Wynfrith wirklich sofort umkehrt und nach Jersey zurückgeht. In den letzten Stunden habe ich bemerkt, dass sie zu zögern scheint. Vielleicht fängt sie in Brest ein neues Leben an.«
»Es ist ihre Entscheidung«, sagte Joshua mit belegter Stimme. Er schien von der Stimmung an Deck sehr betroffen zu sein.
Der Kapitän blieb noch immer unter Deck. Der Steuermann gab die nötigen Anweisungen. Er ordnete südöstlichen Kurs an. Die Hulk näherte sich dem Zielhafen Brest. Nur noch diese Nacht und den nächsten Tag, dann erreichte man den Hafen.
Jetzt nahm der Wind spürbar zu. Die Hulk hob und senkte sich. Schon fegten Schaumwellen über die Reling. Der Wal blieb verschwunden. Die öde Leere
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