Mord Im Kloster
der Dunkelheit wurde nun von fassbaren Naturgewalten belebt, es musste gehandelt werden, und das ängstliche Starren der Mannschaft voraus schien damit beendet zu sein.
Aber als ein Schwarm von nächtlichen Seeraben sich plötzlich auf die Stagen setzte und sich auch nicht vertreiben ließ, da argwöhnten die Matrosen neues Unheil.
Denn suchten die Vögel, die sich trotz aller Versuche nicht vertreiben ließen, nicht Schutz vor einer unbekannten Gefahr?
An Deck und in der Takelage war alles festgezurrt. Sollte ein Unwetter entstehen, wie es in dieser Gegend nicht selten war, dann zeigte man sich gerüstet. Wieder gab der Steuermann seine Anweisungen.
Ein anderes Zeichen bereitete den Kundigen an Bord Sorge. Schwärme harmloser kleiner Fische, die schon seit langem das Kielwasser der Hulk begleitet hatten, schossen plötzlich fort und verschwanden in der Dunkelheit. Sie suchten sich einen neuen Begleiter. Was war dort draußen?
Wieder liefen alle am Bug zusammen und starrten hinaus. Der Mond gab die Geheimnisse der See nicht preis.
Dann kam der erneute Aufprall.
Am Bug stand der Harpunier, nur seine Knie hielten ihn an der Reling im Gleichgewicht. Er sah das Auftauchen des Pottwals und schleuderte sofort seine zweite Waffe auf den Feind. Wieder traf sie den Wal, diesmal hinter der Stirn. Der Harpunier schrie triumphierend auf. Aber im selben Moment verlor er das Gleichgewicht. Das Beben des Schiffes riss ihn über Bord. Sein Schreien verlor sich in der Tiefe.
Der Wal hatte das Schiff frontal gerammt. Der Zusammenprall bremste das Schiff bis zum Stillstand ab. Die Hulk drehte sich auf der Stelle. Dann schoss das Schiff, vom Sog einer stark einsetzenden Strömung mitgerissen, wieder nach vorn. Sprühende weiße Gischt schickte ihre Flocken auf Deck.
Der Wal pflügte vor ihnen her. Beim Rollen der Dünung leuchtete sein weißer Buckel im Mondlicht. Sein Atemstrahl stand senkrecht in der Luft. Aus seinem Kopf ragten die Stümpfe der Handharpunen. Mal verschwand er in den Wogen, dann war er wieder da. Er zog ein Kielwasser hinter sich her, das in hellen, schäumenden Blasen aufstieg und zerstob. Er war verletzt, Blut trat aus dem weißen Körper. Aber wieder spielte er sein Spiel.
Und Henri erhielt eine neue Antwort auf seine Fragen. Bei aller Angriffslust des Wals sah er jetzt in seinem ruhigen Dahingleiten etwas wie Gelassenheit, etwas wie Milde, etwas wie Freude an der Bewegung, die der Schöpfer des Himmels und der Meere ihm geschenkt hatte.
Das ist es, was uns Menschen fehlt, dachte Henri. Wir achten die Natur nicht – auch nicht unsere eigene. Wir leben in ihr wie Berserker. Wir schlagen auf sie ein, wir verstehen sie nicht. Deshalb verstehen wir uns selbst nicht und erklären uns gegenseitig zu Feinden.
Jetzt endlich tauchte auch der Kapitän an Deck auf. Sein Gesicht war verquollen. Offenbar hatte er über Gebühr dem Rum zugesprochen. Er warf den Kopf zurück und sog die Nachtluft ein, als könnte er dadurch die Position des Schiffes bestimmen. Er sah nach der Windfahne am Mast, gestikulierte und gab Anweisungen. Aber man hörte ihn nicht. Der Sturm nahm jetzt brüllend zu.
Der Pottwal schwamm noch immer voraus. Mal erhob sich sein Schädel aus den Wellen, mal sein gekrümmter Rücken und sein marmorner Rumpf. Dann hob sich seine Schwanzflosse drohend empor und peitschte die See. Und schließlich, als der Sturm immer stärker wurde, tauchte der Wal unter.
Er verschwand.
Er überließ die Hulk und ihre Besatzung sich selbst. Und ihrer Unwissenheit.
Der Sturm hielt bis zum Morgengrauen an. Die Matrosen hatten alle Hände voll zu tun, im Abtakeln die richtigen Griffe zu setzen. Sie leisteten Schwerstarbeit. Aber dafür wurden sie bei aufgehender Sonne belohnt.
Die See lag nun ruhig und wie eine glatte, grünblaue Wiese vor ihnen, und die Sonne versenkte ihren Schatz darin. Der Schatz bestand aus nichts als purem Leben. Nach der Nacht mit dem Pottwal verspürte Henri dies als wahres Geschenk.
So glitt die Hulk ruhig dahin.
Sie passierten die Riffe von Le Conquet, erblickten weit draußen im offenen Meer die Küsten der Inseln von Molene. Dahinter türmte sich die Insel Quessant auf – die Insel des Schreckens, ein vom Meer umtostes Plateau aus Schiefer und Granit, vor dem schon viele Schiffe gekentert waren. Sie umrundeten das nach Süden abfallende Festland der Bretagne, änderten dann den Kurs und steuerten nach Osten. Jetzt wich der Kapitän nicht mehr von der Brücke.
Bald kam der Felsen des
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