Mord Im Kloster
Brüder schufen sich schon 1306 auf Rhodos ein neues Reich. Wir blieben in Frankreich und warteten ab. Wir wollten zeigen, dass wir keinen Zweifel gegen unsere Herren hegten. So konnten wir einfach ausgestrichen werden, als Papst und König es für sinnvoll hielten.«
»Spätestens im Jahr 1306 wurde doch in Frankreich klar, dass es mehr als Gerüchte darüber gab, dass man den Tempel auslöschen wollte. Dieser Brief tauchte auf.«
Henri blickte Uthman an. »Du meinst den berüchtigten Brief des Priors von Montfaucon, Esquieu de Floyran, den er an König Jakob von Aragon schrieb?«
»Denselben. Darin schrieb er doch ungefähr: Damit dem König klar wird, dass ich der Mann bin, der dem König von Frankreich die erschreckenden Tatsachen den Tempelorden betreffend enthüllt hat – oder ähnlich. Darin ging es doch nicht mehr um die üblichen Vorwürfe wie Arroganz der Tempelherren, Geiz, Geldgier usw. Nein, in diesem Brief war von Ketzerei, Götzenkult, Sodomie die Rede. Von unglaublichen Anschuldigungen. Da hättet ihr doch wissen müssen, dass es ernst wird.«
Henri sagte: »Uthman, wir haben es aber nicht so gesehen. Es war damals unvorstellbar, dass man uns solcher Dinge wirklich öffentlich bezichtigen wollte. Dass man unsere Verdienste einfach mit Füßen trat und nur noch ein Ziel verfolgte, nämlich uns zu verurteilen und zu töten. Unvorstellbar!«
»Im Rückblick siehst du das genauso?«
»Wir waren orientierungslos. Wir waren unfähig, den Feind zu erkennen und zu bekämpfen. Wir verstanden nicht den Grund der Anschuldigungen gegen uns. Wir waren unserer Führer beraubt, die in den Kerkern gefoltert wurden. Wir konnten ohne sie nichts entscheiden. Wir waren durch zwei Jahrhunderte Kampf an vorderster Front müde geworden. Die Ankläger kamen im ungünstigsten Moment. Alles das sind die Gründe unseres Scheiterns.«
In das Seufzen der Zuhörer hinein waren plötzlich wieder andere Geräusche zu vernehmen. Besorgnis erregende Geräusche.
»Was ist das?«, flüsterte Joshua.
Es war ein Schlürfen, ein Einsaugen, ein Ausspeien, ein Grunzen.
Der Wal greift wieder an, dachte Henri.
An der Bugseite zeigte er sich zuerst. Die kühnen Männer, die dort vorn standen, unter ihnen der zum Harpunier bestimmte Matrose, der langsam seine Waffe anhob, warteten auf sein Auftauchen. Man hörte einen Moment lang nichts mehr. Dann jedoch ertönte ein hoher Trompetenstoß, so durchdringend, dass sich mancher Matrose die Ohren zuhielt. Der Wal tauchte im weißen Mondlicht vor dem Schiff auf.
Henri und die Gefährten starrten auf dieses Schauspiel. Und der Wal starrte sie an.
Sie sahen seine schneeweiße, gefurchte Stirn und seinen hohen, pyramidenförmigen, weißen Höcker. Sein Leib trug Leichenfarbe, darauf Flecken und ein Muster wie Marmor. Henri musste an die östliche Seitenwand der Temple Church denken, die ein solches Muster trug. Im dunklen Meer zog dieses Tier die weiße Gischt hinter sich her, während am Himmel die Milchstraße aufging und der weiße Mond geheimnisvoll leuchtete.
Henri verlor in diesem Moment sein lähmendes Gefühl. Er begriff, welch einem erhabenen Schauspiel er beiwohnte. Und Henri betrachtete es ohne Furcht. Er erblickte darin etwas Urzeitliches. Ein Schauspiel, das der Mensch immer schon gesehen hatte, solange er auf der Erdenscheibe weilte – den Kampf des Menschen gegen die Kreatur. Macht euch die Erde Untertan, sprach der Herr, und das Tier widersetzte sich.
Ist das Tier wirklich böse?, dachte Henri. Kann eine Kreatur überhaupt böse sein? Tut es nicht nur, was seine Natur ihm eingibt? Greift es uns wirklich an – oder will es nur Kontakt aufnehmen? Vielleicht ist es neugierig.
In Henris Gedanken hinein wendete der Wal erneut und kam auf die Hulk zu. Die Matrosen schrien auf. Der Harpunier holte aus und warf seine Waffe mit einem wilden Brüllen dem Tier mitten in den Schädel.
Henri sah jetzt den missgestalteten Unterkiefer des Fisches. War das ein Ausdruck seiner Bösartigkeit und Tücke? Durfte man Tiere nach solchen Maßstäben beurteilen, die man an Menschen anlegte?
Die Matrosen schrien durcheinander. Der Wal drehte sich, und man hörte jetzt einen klagenden, lang gezogenen Ton. Die Schiffsbesatzung starrte nach vorn. Der Wal verschwand in der Dunkelheit jenseits des Mondlichts.
Einige Männer unterhielten sich jetzt über die hinterlistigen Rückzüge solcher Wale. Oft genug sollten sie in Panik das Weite gesucht haben und mitten im Übermut der vermeintlichen
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