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Mord Im Kloster

Mord Im Kloster

Titel: Mord Im Kloster Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philipp Espen
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Haie.«
    Die Nacht sank tief herab. Doch die Mannschaft blieb wach. Niemand konnte schlafen. Die Wachen gingen unruhig umher, und ihr Ausrufen der vollen Stunde, nachdem der Schiffsjunge an Deck die Sanduhren umgedreht hatte, klang unheilvoller, als es gemeint war. Waren dies ihre letzten Stunden?
    Niemand wagte, etwas zu sagen. Sie lauschten. Sie wollten einen erneuten Angriff des weißen Pottwals rechtzeitig erkennen.
    So mancher fragte sich, warum das Ungeheuer gerade hier auftauchte. War es auf der Flucht vor den Nordmännern, den Walfängern mit ihren tödlichen Harpunen? Auch an Deck der Hulk stand jetzt ein Matrose, der eine Harpune in der Hand hielt, bereit, sie hinauszuschleudern. Aber sie hatte keinen Widerhaken und war an keinem Seil befestigt. Sie würde den Pottwal nur kitzeln.
    Ein strahlender weißer Vollmond ging auf. Er beleuchtete die geheimnisvolle und dunkle See. Die Stimmung an Bord neigte dadurch noch mehr zur ahnungsvollen Düsternis. Man bereitete sich auf das Schlimmste vor. Viele der hart gesottenen Männer waren bereit, mit der bloßen Faust in den Rachen des Angreifers zu stoßen. Aber der Wal zeigte sich nicht. Er spielte mit ihnen.
    Die Männer erinnerten sich plötzlich an die uralte Geschichten, die sie in ihrer Jugend gehört hatten. Von mörderischen Kämpfen mit weißen Fischungeheuern, von Seewesen, die Schiffe in der Nacht überfielen, von unerwartetem Grauen in entlegenen Gewässern. Nun, dies war das Deutsche Meer. Aber auch hier war die See tausend Fuß tief, und was sich unten befand und vielleicht in diesem Moment beschloss, heraufzutauchen und sich über das Schiff herzumachen – das ängstigte die abergläubischen und ungebildeten Matrosen.
    Auch Henri wusste, dass es Legenden von Walen immer gegeben hatte. Alle möglichen unheimlichen Andeutungen und Berichte von Seefahrern hatten mit der Zeit immer größere Ausmaße angenommen, schließlich schrieb man den weißen Pottwalen übernatürliche Kräfte zu. Waren sie nicht Rächer all der gejagten Kreaturen, die von Menschen erlegt worden waren? Ihr gewaltiger Schatten war gerade in letzter Zeit immer öfter aufgetaucht, als Verkörperung von etwas Beängstigendem, das man nicht begriff. Der Pottwal erschien allmählich als Schrecken aller Lebewesen der Tiefe, als Raubtier, das nach Menschenblut lechzte. Flüchteten bei seinem Auftauchen nicht alle anderen Lebewesen, selbst die Haie?
    Wie um von dieser unerfreulichen Stimmung abzulenken, begann Uthman, die Freunde ins Auge zu fassen. Er räusperte sich. Er wollte das Gespräch weiterführen.
    Auch Henri und Joshua waren dazu bereit. Zu reden war besser, als sich seinen unheilvollen Gedanken zu überlassen.
    »Niemals«, fuhr Uthman fort, »so oft ich auch darüber nachdenke, wird mir verständlich, warum der Tempelorden sich der Zerschlagung nicht widersetzte. Warum habt ihr euch widerstandslos zur Schlachtbank führen lassen?«
    Henri riss sich aus seiner Angespanntheit los und erwiderte: »Du kannst mir glauben, auch ich habe seit den ersten massiven Verhaftungen im Jahr des Herrn 1307 unaufhörlich über diese Frage nachgegrübelt. Ich habe im Jahr 1312 nach einer Antwort gesucht, als wir verboten wurden. Ich habe 1314 nachgedacht, als unsere letzten Ordensmeister öffentlich verbrannt wurden. Die Antwort ist: Wir sind an unseren eigenen Vorzügen gescheitert.«
    Verblüfft fragte Uthman: »Wie meinst du das?«
    »Unser Eid auf den Papst hat verhindert, dass wir uns wehrten. Unsere militärische Disziplin verhinderte, dass wir einen Aufstand gegen unsere Herren anzettelten. Wir wollten die Treuepflichten nicht aufgeben und sind an unseren Tugenden zugrunde gegangen.«
    »Aber es muss doch andere Gründe geben«, zweifelte Uthman.
    »Wir waren eben nur eine Spielfigur, eine Art Sündenbock. Wir gerieten in das Machtspiel der geistlichen Macht und der weltlichen Mächte. Zwischen Papst und König wurden wir zerrieben.«
    »Ihr hättet die Zeichen der Zeit früher erkennen müssen.«
    »Das ist wahr«, sagte Henri. »Aber ich habe damals in London diese Zeichen eben auch nicht richtig gedeutet. Ich wollte sie einfach nicht sehen. Als Akkon 1291 fiel, verloren wir unsere Aufgabe. Natürlich kämpften einige Orden und vor allem vereinzelte Ritter auch danach noch weiter, in Akkon, Safed, Ruad – noch am Anfang dieses Jahrhunderts. Aber insgesamt haben wir es versäumt, uns wie der Deutschorden ein neues Betätigungsfeld zu schaffen. Oder wie der Johanniterorden – diese

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