Mord im Nord
eine passende Bleibe gefunden hatte.
Sie habe jetzt endgültig die Seiten gewechselt, fasste Adelina ihren Bericht zusammen, und stehe nun auf der Seite der Guten. Allerdings, so fügte sie hinzu, ehe sie das Thema mit einer resoluten Handbewegung abschloss, sei sie sich nicht mehr so sicher, ob die Grenze zwischen den beiden Seiten wirklich so eindeutig und klar verliefe.
Ich wollte nicht weiter nachbohren, um die gute Stimmung nicht zu gefährden, und fragte sie deshalb vorsichtig nach ihrem Privatleben. Nein, einen festen Lebenspartner gebe es nicht, meinte sie lachend, dafür habe ihr im letzten halben Jahr schlicht die Zeit gefehlt, und der Richtige sei ihr auch nicht einfach so über den Weg gelaufen.
Ich registrierte, dass mir diese Mitteilung ein Gefühl von Erleichterung verschaffte, was mich wiederum ziemlich verwirrte. Nur dieser inneren Verwirrung war es zuzuschreiben, dass ich mich stammelnd dafür entschuldigte, dass ich alter Mann mich nach etwas erkundigt hatte, was mich eigentlich gar nichts anging.
Adelina blieb einen Moment lang stehen, betrachtete mich von oben bis unten und meinte dann, so alt sei ich mit meinen etwa sechzig Jahren, wenn sie sich nicht irre, nun auch noch nicht. Zudem hätte ich mich, fügte sie mit einem meine Sinne vollends verwirrenden Lächeln hinzu, damals oben auf dem Hügel gar nicht alt angefühlt.
Ich spürte, wie ich bei diesem Kompliment errötete. Jene Sternstunde oben auf der Hügelkuppe neben meinem Häuschen in der letzten Nacht vor ihrer Abreise war mir das ganze letzte Halbjahr immer präsent gewesen. Dass sich die so viel jüngere Adelina, die nur etwas mehr als halb so viele Lenze erlebt hatte wie ich, daran erinnerte, gab mir beinahe den emotionalen Rest. Ich hoffte inständig, dass Adelina meine rote Gesichtsfarbe und die kleinen Schweissperlen dem jetzt wieder ziemlich steil werdenden Waldsträsschen und dem schweren Rucksack zuschreiben würde.
Sie liess sich jedenfalls nichts anmerken und plauderte munter über unverfänglichere Themen wie die bei uns beiden anhaltende Autolosigkeit. Schon ihre Grossmutter habe gesagt, der kürzeste Weg zur Gesundheit sei der Fussweg, was sie nur bestätigen könne, doch vor allem empfände sie das Leben ohne Auto als befreiend, als Abwerfen von überflüssigem Ballast.
Ich konnte ihr nur zustimmen, war aber nicht ganz unfroh, als wir an der Abzweigung ankamen, von der aus ein fast ebener Waldpfad den Hang entlang bis zum letzten kleinen Aufstieg zu meinem Häuschen führt. Adelina erinnerte sich an den knallgelben Regenschirm, der auch bei Nebel oder Dunkelheit dafür sorgt, dass ich diese letzte Abzweigung erwische, und freute sich darüber, dass manche Dinge bleiben, wie sie sind.
Weil wir gemütlich gegangen waren, hatte der Aufstieg vom Kaien fast eine halbe Stunde gedauert. Ich war froh, endlich den schweren Rucksack abstreifen zu können. Adelina begann gleich, sich häuslich einzurichten, und ich bereitete uns ein ordentliches Appenzeller Frühstück zu, das wir mit Appetit genossen.
Zu den Dingen, die geblieben waren, gehörte unsere gemeinsame Vorliebe für ein gut gewürztes Pfeifchen. Das Wetter war für die frühwinterliche Jahreszeit erstaunlich mild, sodass wir uns raussetzen konnten, wenn auch nur mit der wärmenden Unterstützung einer Jacke.
Auf ihre Frage nach meinem beruflichen Wohlergehen gab es nicht viel zu erzählen. Das Buch über Appenzeller Geheimnisse, das ich während unseres letzten Zusammenseins gerade begonnen hatte, war mittlerweile erschienen. Sie kannte es, ich hatte es ihr geschickt, und sie wusste aus unseren Telefongesprächen, dass es nicht nur gut herausgekommen, sondern auch gut angekommen war. Von meinem neusten Projekt würde ich ihr später erzählen, zumal ich damit noch ganz am Anfang stand.
Nachdem ich Adelinas Retourfrage nach einer festen Partnerin ebenfalls verneinend beantwortet hatte, kamen wir unvermeidlich noch einmal auf den Fall zu sprechen, der uns vor einem halben Jahr gemeinsam beschäftigt hatte, und damit auf die seltsamen Verstrickungen rund um das Geheimrezept des Appenzeller Käses. Plötzlich sah mich Adelina mit einem unergründlichen Blick an und meinte, sie habe das untrügliche Gefühl, dass ich ihr in dieser Sache etwas verheimliche.
Ich schluckte einmal leer ob dieses Beweises für die Existenz weiblicher Intuition und legte ein Geständnis ab. Schliesslich hatte ich schon damals, bei meiner Aufnahme in das Bewahrungskomitee für das
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