Mord im Nord
irgendwas gemerkt hätten weder sie noch dieser Freund. Gut, vielleicht ein ganz ferner Anklang sei da gewesen, aber nicht der Rede wert. Jetzt hingegen spüre sie so etwas wie Seelenfrieden, und das sei sicher nicht nur auf die eben genossenen Liebeswonnen zurückzuführen, dafür sei sie eine zu gute Selbstbeobachterin.
Jetzt verstünde sie endlich meine Begeisterung, das sei ja wirklich der Hammer. Und dass ich davon geträumt habe, dieses Erlebnis möglichst vielen Menschen zum Wohle der ganzen Menschheit zu ermöglichen, könne sie nun bestens nachvollziehen. Da war sie wieder, die Vertrautheit unserer ersten Stunden, und in einem aus dieser Stimmung gewachsenen Übermut schlug ich vor, noch ein Gläschen zu kippen, um herauszufinden, ob sich daraus noch eine weitere Steigerung ergäbe. Sie stimmte fröhlich zu.
Diesmal ging es noch schneller, und ich spürte tatsächlich eine neue Wirkung: Nicht nur erkannte ich all meine Gefühle und Empfindungen klar und liebevoll. Vielmehr hatten diese Gefühle einen unwiderstehlichen Drang, sich zu äussern. Kurzum, ich wurde äusserst redselig und sagte Dinge, die besser ungesagt geblieben wären.
Ich hätte tiefe Gewissensbisse wegen des Verrats des Geheimnisses und Deines, Franzens, Namens. Ich würde mich fragen, ob ich damit nicht zu Dir gehen müsse, um alles zu gestehen und so mein Gewissen zu erleichtern.
Auf Claudia hatte dieses Geständnis eine unerwartete Wirkung, nämlich eine ansteckende. Was ich denn von Gewissensbissen verstünde, das bisschen sei ja nicht zu vergleichen mit der Menge an Gewissensqualen, unter denen sie leide.
Jetzt sprudelte es nur so aus ihr heraus. Ich erfuhr, dass das von ihr geleitete Forschungsinstitut im Wesentlichen eine Tarnorganisation für einen ausgewachsenen privaten Geheimdienst ist. Zwar wird oben am Licht fleissig geforscht und publiziert, doch unter dieser sichtbaren Oberfläche existiert eine ausgewachsene Organisation, die Wissen keineswegs nur auf legalem Weg beschafft. Und wie jeder ordentliche Geheimdienst beschränkt sich auch dieser nicht auf die Beschaffung von Informationen, sondern greift aktiv ins Geschehen ein, wenn er es für nötig erachtet. Schliesslich, fügte Claudia mit einem gequälten Lächeln hinzu, käme das Wort «Agent» vom lateinischen Begriff für handeln, und gehandelt würde, wenn es gelte, etwa eine unliebsame Konkurrenz auszuschalten.
Was genau da vor sich geht, weiss Claudia auch nicht. Dieser Geheimdienst bezieht seine Aufträge meist direkt von den beteiligten Pharmaunternehmen selbst. Sie habe aber genug Phantasie, um sich einige ganz schlimme Dinge ausmalen zu können.
Manchmal bediene sie sich auch selbst der Dienste dieser Organisation. Zum Beispiel im Falle meines Seelenfrieden-Käses. Das habe natürlich ihr Interesse geweckt, und so habe sie den Auftrag gegeben, mehr über die Hintergründe herauszufinden. Der Geheimdienst habe sich umgehört und dabei rasch von den engen Beziehungen zwischen Appenzeller Alpenbitter und Appenzeller Käse erfahren. Man habe sich darauf seinen Reim gemacht und beim Alpenbitter nachgebohrt. Das sei leicht gewesen. Rasch fand sich eine Angehörige des mittleren Kaders, die beim seinerzeitigen Test von «Soma» dabei gewesen war und als alleinerziehende Mutter wenig Skrupel hatte zu erzählen, was sie davon wusste, nachdem ihr ein gut gefüllter Umschlag rübergeschoben worden war. Als man ihr noch einen Vertrag vorgelegt hatte, in dem für fünf Jahre regelmässige Zuzahlungen zu den Ausbildungskosten ihrer Kinder versprochen wurden, war sie bereit, zwei Flaschen aus den noch vorhandenen Vorräten von «Soma» zu klauen.
So also, gestand Claudia abschliessend, sei sie an unser Testgetränk gekommen. Wie das genau mit dem Käse zusammenhinge, wisse sie zwar nicht, aber es interessiere sie – beruflich jedenfalls – auch nur mässig. Es ginge ihren Auftraggebern ja nicht darum, an das Rezept zu kommen, um selbst eine Kopie herzustellen. Das wäre wenig glaubwürdig, und zudem liesse sich die hochkomplexe Molekülvielfalt eines Naturprodukts mit ihren unzähligen Wechselwirkungen ohnehin kaum im Labor nachbauen. Vielmehr wollten sie eine möglicherweise unliebsame Konkurrenz möglichst schon im Keim ersticken. Auf mein erstauntes Nachfragen hin, ob denn Weltkonzerne einen kleinen regionalen Käseproduzenten wirklich fürchten müssten, gab sie zu, dass das rein quantitativ gesehen für keinen Pharmakonzern, der Glückspillen verkaufen will, ein
Weitere Kostenlose Bücher