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Mord im Spiegel

Mord im Spiegel

Titel: Mord im Spiegel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Agatha Christie
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was sie kannte. Miss Marple musste an ein Baukastenmodell denken, so wenig echt wirkte alles.
    Selbst die Menschen sahen so unecht aus. Die jungen Frauen in den engen Hosen, die eher düster blickenden jungen Männer, die üppigen Brüste der jungen Mädchen. Miss Marple konnte nicht anders – sie fand alles höchst unmoralisch. Niemand schenkte ihr Beachtung. Sie schlenderte weiter durch die Aubrey Close und bog dann in die Darlington Close. Sie ging langsam und lauschte dabei aufmerksam auf die Bruchstücke der Gespräche, die zu ihr herüberklangen. Mütter, die einen Kinderwagen vor sich herschoben, unterhielten sich angeregt, Mädchen sprachen mit jungen Burschen, und düster blickende Teds (sicherlich hießen sie alle Ted) tauschten geheimnisvoll klingende Bemerkungen aus. Frauen kamen an die Haustür und riefen nach den Kindern, die wie üblich eifrig genau das taten, was sie nicht tun sollten. Kinder änderten sich nie, überlegte Miss Marple dankbar. Und sie lächelte und begann, Betrachtungen über die Leute anzustellen, wie das ihre Gewohnheit war.
    Die Frau dort ist genau wie Carry Edwards… und die Dunkelhaarige erinnert an das Mädchen der Hoopers; ihre Ehe wird genauso in die Brüche gehen wie die von Mary Hooper… Und die Jungen dort – der dunkle erinnert sehr an Edward Leeke, viele große Worte, aber harmlos, ein netter Kerl… Und der blonde ist wie eine neue Ausgabe von Mrs Bedwells Josh. Ordentliche Jungen, alle beide. Der dort, der Gregory Binns ähnelt, taugt nicht viel, fürchte ich, vermutlich hat er die gleiche Art von Mutter…
    Sie bog um die Ecke in die Walsingham Close. Ihre Stimmung hob sich mit jedem Augenblick mehr.
    Die neue Welt war genau wie die alte. Die Häuser sahen zwar anders aus, die Straßen hießen Close, die Kleider, die Stimmen waren anders, doch die Menschen selbst waren sich gleich geblieben. Auch die Themen ihrer Gespräche hatten sich nicht geändert, obwohl sie sich etwas anders ausdrückten als früher.
    Auf ihrer Entdeckungsreise war Miss Marple so häufig in eine andere Straße eingebogen, dass sie die Orientierung verloren hatte und plötzlich am Ende der Siedlung angekommen war. Sie befand sich jetzt in der Carrisbrook Close, deren Häuser zum Teil noch nicht fertig waren. Im ersten Stock eines Rohbaus stand ein junges Paar an einem Fenster und unterhielt sich. Ihre Stimmen klangen bis zu Miss Marple hinunter.
    »Du musst zugeben, dass es hübsch liegt, Harry!«
    »Das andere war genauso gut.«
    »Es hat zwei Räume mehr.«
    »Für die man zahlen muss.«
    »Also, mir gefällt es.«
    »Das glaube ich gern.«
    »Ach, sei kein Spielverderber! Du weißt, was Mutter gesagt hat, als wir bei ihr waren.«
    »Deine Mutter sagt viel, wenn der Tag lang ist.«
    »Wage es nicht, auf meine Mutter zu schimpfen! Wo wäre ich heute ohne sie? Und sie hätte dir gegenüber viel ekelhafter sein können, das möchte ich einmal klarstellen. Sie hätte dich anzeigen können.«
    »Ach, hör schon auf, Lily!«
    »Man hat eine hübsche Aussicht auf die Hügel. Beinahe kann man das Staubecken sehen…« Sie beugte sich weit hinaus und drehte sich dabei nach links. »Beinahe…«
    Sie lehnte sich noch weiter hinaus und merkte nicht, dass sie sich auf ein paar lose Bretter stützte, die als Fenstersims dienten. Die Bretter gaben unter ihrem Gewicht nach und begannen, sich nach außen zu verschieben. Lily wurde mitgezogen. Sie schrie auf und versuchte, das Gleichgewicht wiederzuerlangen.
    »Harry!«, rief sie.
    Der junge Mann stand da, ohne sich zu rühren, etwa einen oder zwei Schritte hinter ihr. Dann trat er noch weiter zurück.
    Verzweifelt suchte Lily am Fensterrahmen Halt, und es gelang ihr, sich aufzurichten.
    »Oh!« Sie seufzte vor Schreck auf. »Beinahe wäre ich hinausgefallen. Warum hast du mich nicht festgehalten?«
    »Es passierte alles so schnell. Na ja, es ist ja alles wieder in Ordnung.«
    »Was weißt denn du schon! Um ein Haar wäre ich hinuntergestürzt. Und sieh mal, wie mein Pullover aussieht, ganz schmutzig!«
    Miss Marple ging ein kleines Stück weiter und drehte sich unwillkürlich um.
    Lily stand jetzt auf der Straße und wartete auf ihren Begleiter, der die provisorische Haustür abschloss.
    Miss Marple trat auf sie zu und sagte mit gedämpfter Stimme hastig: »Wenn ich Sie wäre, meine Liebe, würde ich ihn nicht heiraten. Man braucht jemanden, auf den man sich in der Not verlassen kann. Entschuldigen Sie, bitte, wenn ich mich einmische – aber ich fand,

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