Mord im Tiergarten - historischer Kriminalroman
ich es ihm vorgemacht hatte, weil er sich ständig übergeben musste. Aber Odin gefällt es nicht, wenn man ihm Tote opfert. Sie sollen für ihn sterben und nicht durch den dilettantischen Einsatz von Chloroform. Außerdem muss bei dem Ritual das Opfer möglichst lange am Leben bleiben. Frisches Blut muss in den Opferkessel fließen. Vor der Entführung von Wilhelm Maharero hat er mich extra noch mal aufgesucht, um sich erneut die richtige Dosierung für die Betäubung zeigen zu lassen. Ohne meine Unterstützung hätte er die Morde niemals begehen können. Er würde noch heute in einem dunklen Raum sitzen und sich vor aller Welt fürchten. Ich habe ihn zu einem Mann gemacht, und wie hat er mir gedankt? Er hat mir die Arme zertrümmert – dieser unberechenbare Irre. Weiß der Himmel, was in seinem Kopf …«
Otto hatte genug gehört. Seine Provokationen hatten den gewünschten Effekt erzielt. Jetzt wollte er sich von diesem Ort entfernen. Er setzte sich den Panamahut auf und begab sich zum Ausgang.
Professor von Trittin war abrupt verstummt. Dann rief er: »Ich wollte Sie wissen lassen, dass Sie mich nicht gekriegt haben. Für Sie und Ihresgleichen werde ich immer eine Nummer zu groß sein. Von alldem können Sie nichts gegen mich verwenden. Vor Gericht würde Aussage gegen Aussage stehen, und ich würde Ihnen noch eine Verleumdungsklage an den Hals hängen.«
»Wie Sie meinen«, sagte Otto und wollte gerade die Klinke herunterdrücken, als die Tür schon aufschwang und der Commissarius im Rahmen erschien. Er trug ein kanariengelbes Jackett und eine Nelke im Knopfloch. Er roch, als hätte er in einer Parfümwanne gebadet.
» Vous êtes un génie «, sagte Funke. »Sie hatten ja so recht. Mit seinem Geltungsdrang reichte es ihm nicht, sich im Stillen über die Morde zu freuen. Vor seinem ärgsten Gegner musste er sich seiner Taten rühmen. Der Untersuchungsrichter hat alles gehört, der Gerichtsschreiber hat jedes Wort protokolliert. Das wird reichen, um ihm eine Mittäterschaft nachzuweisen und ihn ins Zuchthaus zu bringen. Jetzt werden wir sicher auch noch erfahren, wo die Lungenflügel von Salomon Hirsch abgeblieben sind.«
»Wo hatten Sie die Hörrohre postiert?«, fragte Otto. »Ich habe sie nirgends entdecken können.«
»Das sollten Sie ja auch nicht. Die Hörrohre haben weiße emaillierte Trichter, die inmitten der weißen Tulpenblumen stecken. Bei Trittins Verletzung konnte ich mir sicher sein, dass er den Strauß nicht untersuchen würde. Die Rohre haben wir durch ein Loch in der Wand in den Nebenraum geführt, wo wir nur noch die Ohren an die Enden legen mussten und alles gut verstehen konnten.«
»Der leitende Arzt hat also mitgespielt?«
»Ja, er konnte sich noch gut an Sie erinnern, als Sie hier in der Irrenabteilung als Mediziner gearbeitet haben. Ich soll Ihnen beste Grüße ausrichten. Er hat Trittin persönlich aufgesucht und ihm mit honigsüßen Worten erklärt, dass ein großer Wissenschaftler wie er nicht im Krankensaal liegen müsse und Anspruch auf eine Vorzugsbehandlung habe. Trittin fühlte sich sehr geschmeichelt und hat ihm jedes Wort geglaubt. Hier hatten wir natürlich alles längst vorbereitet. Ich kann Ihnen gar nicht genug danken für Ihre tätige Hilfe, mein Lieber.«
»Danken Sie mir nicht«, erwiderte Otto. »Lassen Sie uns lieber dafür sorgen, dass Salomon Hirsch, der Bankier Frankfurter und Wilhelm Maharero nicht in Vergessenheit geraten. Lassen Sie uns dafür sorgen, dass solche sinnlosen Morde nicht wieder geschehen.«
Drei Wochen später
»Klein-Sanssouci«
Als Otto am Morgen nach ihrer Hochzeit erwachte, hatte er es zum ersten Mal nicht eilig, das Bett zu verlassen. Nirgends gab es einen Ort, an dem er lieber gewesen wäre. Leise drehte er sich auf die Seite und schaute auf ihr langes schwarzes Haar, das sich über das weiße Kopfkissen wand. Ihr Brustkorb hob und senkte sich, und ihr Rückgrat zeichnete sich unter der hellen Haut ab, die in der Nacht noch nach Salz und Lust geschmeckt hatte. Sie war wunderschön. Er streckte die Hand aus, um über ihre Hüfte zu streichen, aber dann zog er sie wieder zurück, um sie nicht zu wecken.
Sie sollte ruhig noch weiterschlafen, denn der heutige Tag würde ihr einiges abverlangen. Bei den Hochzeitsvorbereitungen hatten sie sich in vielen Punkten nicht einigen können. Deshalb hatten sie die Aufgaben verteilt. Igraine hatte sich um die Ausrichtung des Fests gekümmert, und Otto war für die Planung der Reise zuständig
Weitere Kostenlose Bücher