Mord im Tiergarten - historischer Kriminalroman
Eck« dürfte zu dieser nächtlichen Stunde nichts mehr los sein.
Kurz vor dem Tiergarten bog die Kutsche ab und überquerte die Spree auf der Lessingbrücke. Am Schifffahrtskanal fuhr sie auf dem Südufer nach rechts. Das Wasser glänzte silbergrau und platschte leise gegen die Kaimauer. Nach dem Petroleumlagerhof hielt die Kutsche plötzlich vor einem heruntergekommenen Mietshaus an.
Otto bremste das Fahrrad hinter einem Bretter- und Bauschutthaufen ab und stellte einen Fuß auf den Bordstein. Er beobachtete, wie Professor von Trittin und Daniele Vicente aus der Kabine stiegen und auf einen massigen Vollbartträger in einem schwarzen Frack zugingen, der ihnen den Weg durch die Tordurchfahrt auf den Hinterhof wies, wo sie aus seinem Blickfeld verschwanden.
Otto hatte sich keine Vorstellung gemacht, was ihn erwarten würde. Die Verfolgung war weder gut durchdacht noch sauber geplant worden. Er setzte sich zu vielen Risiken aus. Es wäre am klügsten, zum Haus seiner Eltern zu radeln und sich ins Bett zu legen, aber etwas anderes war stärker. Er konnte seine Neugierde nicht bezähmen.
Nachdem er eine Weile gewartet hatte, lehnte er das Fahrrad gegen den Schutthaufen, strich seine Joppe glatt und ging auf den massigen Frackträger zu, dessen Gesicht von Pockennarben entstellt war. Er schien nicht überrascht zu sein, ihn auftauchen zu sehen. Überhaupt schien ihn nicht viel beeindrucken zu können. Aus seiner Westentasche zog Otto einen gefalteten Fünf-Mark-Schein und reichte ihn dem Mann, der ihn unbesehen einsteckte.
»Auf den Hinterhof«, sagte er. »Und dann über die Treppe in die Parterrewohnung.«
Das Mietshaus wirkte verwahrlost. In den oberen Geschossen waren die Fensterscheiben zertrümmert. Einige Läden standen offen. Die Fenster des Erdgeschosses waren mit Brettern vernagelt, vereinzelt fiel ein Lichtspalt nach draußen. Was ging in dieser Bruchbude nur vor? Otto fiel ein, dass niemand wusste, wo er sich aufhielt, aber daran konnte er jetzt nichts mehr ändern. Es würde schon alles gut gehen. Im Hinterhof ragten ringsum hohe Häuserwände empor. Mehrere Treppen führten in verschiedene Parterrewohnungen. Er entschied sich für die naheliegendste und stieg die Stufen hoch. Er öffnete die unverschlossene Tür und betrat einen Raum, der durch Kerzen erhellt war. Getränkekisten und Fässer standen herum. Ein schwerer Parfümgeruch hing in der Luft. Von irgendwo erklang Stimmengewirr.
Er kletterte über einige Balken in den Flur der Wohnung und trat durch einen offenen Türrahmen ins marode Treppenhaus, wo ein elegant gekleideter Herr in einer Urinlache lag und schnarchte. Die Tür der gegenüberliegenden Wohnung war nur angelehnt. Durch den Spalt drangen Stimmen, dann ein Schifferklavier und ein helles Lachen. Otto stieg einige Stufen hinab, ging an der Schnapsleiche vorbei und stieg einige Stufen wieder hoch. Er drückte die Tür auf und ging in die Beletage-Wohnung.
Große Teile der Zwischenwände waren eingerissen worden. Vor ihm öffnete sich ein großer, beinahe saalartiger Raum, in dem vor den vernagelten Fenstern rote Samtvorhänge hingen. Auf den morschen Dielen lagen Teppiche. Auf wackeligen Tischen standen Kerzen. Überall waren plüschige Sessel und Sofas aufgebaut worden, auf denen sich Huren räkelten und sich von älteren Herren anfassen ließen. Er war in einem primitiven Bordell gelandet.
Otto ging zu dem provisorischen Tresen. In einer Stahlwanne spülte eine grell geschminkte Hure, die das sechzigste Lebensjahr längst überschritten hatte, Gläser.
»Na, Kleener«, sagte sie, »det is ma jut, det du rinkieken tust. Fille hahm wa nich zu bieten, aba ne Mennabrause kannste ham und natürlich Plesierchen. Bist ja een Jedicht von Mann, nich so’n olla Fatzke. Wenn ick richtig seh, is Hafenjule noch zu ham. Die hat’n Jemüt wie’n Schaukelpferd, aba Beene bis uff die Erde und’n Knackahsch, da jibt es nüscht zu meckan.«
»Ich suche zwei Freunde«, sagte Otto, »die vor Kurzem angekommen sein müssen. Wir haben uns verabredet und wollen ein bisschen feiern.«
»Meenste so ’ne kleene Teehwohscht und een junga Jott, bei dem selbst ick noch janz plümerant werd? Na, zu die Sondawünsche jeht’s da lang. Hätt ick nich jedacht, det du so eener bist, aba man kann ja nich rinkieken in die Köppe, wa.«
»Vielen Dank«, sagte Otto und schob zwei Markstücke über den Tresen.
»Na, det Plesier is ma jejenseitich.«
Unter der Beobachtung von zwei Luden mit strichdünnen
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