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Mord im Tiergarten - historischer Kriminalroman

Mord im Tiergarten - historischer Kriminalroman

Titel: Mord im Tiergarten - historischer Kriminalroman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: emons Verlag
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Schnurrbärten ging Otto quer durch den Raum. In der gewiesenen Richtung stand eine Tür offen. Durch einen dunklen Gang erreichte er ein Zimmer, in dem ein geschminkter Jüngling in einer Ecke saß und vor sich hin starrte. Eine Spritze steckte noch in seinem Arm, wahrscheinlich hatte er sich Morphium gespritzt.
    Otto trat in einen weiteren fensterlosen Gang, von dem drei Türen abgingen. Er schaute kurz zurück und überzeugte sich davon, dass ihn niemand beobachtete. Dann kniete er sich hin und spähte durch das erste Schlüsselloch. Der Raum war von Kerzenlicht erhellt. An einem Tisch stand eine nackte Blondine mit festen Hinterbacken und trank Schaumwein. Ein muskulöser Mann lag auf dem Boden. Er war nackt. Eine rothaarige Hure hockte sich über ihn, führte sich sein erigiertes Glied ein und bewegte sich langsam abwärts. Eine brünette Hure saß auf seinem Gesicht und hielt die Augen geschlossen. Dann kniete sich auch noch die Blondine zu ihnen und küsste die Brüste der anderen Frauen. An dem Verband, der um den linken Arm des Mannes gebunden war, erkannte Otto Daniele Vicente.
    Durch einen kurzen Seitenblick überzeugte er sich, dass die Luft noch rein war. Er ging zur nächsten Tür und schaute durch das Schlüsselloch. In dem zweiten Raum hockte ein kleinwüchsiger Mann auf allen vieren auf dem Boden. Über dem Kopf trug er einen schwarzen Sack, der mit einem Seil so eng um den Hals geschnürt worden war, dass er unter Atemnot leiden musste. Von hinten war ein niedriger Hocker zwischen seine Beine geschoben worden. Auf der Sitzfläche lagen seine Hoden wie auf dem Präsentierteller.
    Eine schwarz gekleidete Frau stand hinter ihm, hob den Fuß an und setzte ihn auf den Hodensack. Sie sagte etwas, was der Mann mit einem Wimmern erwiderte, worauf sie stärker zudrückte und die Schuhsohle hin- und herdrehte, als würde sie die Testikel zermalmen wollen, was ihn lustvoll aufstöhnen ließ. Nach der Stimme und der Statur zu urteilen, handelte es sich um Professor von Trittin.
    Otto hatte genug gesehen und entschloss sich, diesen Ort so schnell und so unauffällig wie möglich zu verlassen. Als er wenig später Richtung Pariser Platz radelte und er den Fahrtwind im Gesicht spürte, zog er ein Resümee. Sein nächtlicher Ausflug hatte zwar den Mörder nicht überführt, aber er war auch nicht nutzlos gewesen.
    Jetzt begriff er, warum Daniele Vicente den Blick gesenkt hatte, als Professor von Trittin ihn gebeten hatte, das Schach-Alibi zu bestätigen. Er hatte nachgedacht und war zu dem Schluss gekommen, dass es egal war, wo Professor von Trittin gewesen war, solange er den Mord nicht begangen haben konnte. Deshalb hatte er auch gesagt, dass er das Schach-Alibi beschwören würde. Nicht zuletzt, um ihnen eine peinliche Nachforschung zu ersparen. Vermutlich hatten sie sich hier oder in einem vergleichbaren Etablissement aufgehalten. Das war zumindest eine sehr plausible Erklärung.
    Etwas begriff Otto jedoch nicht. Warum verkehrte Daniele Vicente so sorglos mit den Huren? Die Liebesdienerinnen wurden hier garantiert nicht auf Geschlechtskrankheiten untersucht. Hatte er keine Angst, sich anzustecken? War er wirklich so dickfellig, oder brauchte er keine Angst mehr vor Gonorrhö oder Syphilis zu haben, weil er sie sich längst zugezogen hatte?
    Das Reichenheim’sche Waisenhaus
    Commissarius Funke befürchtete, dass ihm der Mörder zuvorkommen könnte. Mit großen Schritten eilte er am nächsten Tag auf das Reichenheim’sche Waisenhaus zu, das sich im Weinbergsweg befand. Das hohe Gebäude war schon von Weitem zu sehen. Es lag auf einem Hügel und war dicht mit Efeu bewachsen. Der große Garten war von einem schmiedeeisernen Zaun umgeben. Funke öffnete die Pforte und sprang eine steinerne Treppe empor, die in einem Bogen auf den Eingangsbereich zuführte.
    Mit großem Einsatz hatte er nach Isaac Wolfssohn gesucht, der nicht nur das bekannteste Mitglied der Gesellschaft der Freunde, eines jüdischen Hilfsvereins, war, sondern auch ein Großindustrieller und parteiloser Reichstagsabgeordneter. Vor einer Stunde hatte Funke ihn endlich aufgespürt und sich sofort auf den Weg gemacht. Wolfssohn schwebte in Lebensgefahr, und das hatte einen Grund: Obwohl die Juden mittlerweile die gleichen Bürgerrechte hatten, bekleideten sie aus Rücksicht auf das Volksempfinden nur in seltenen Ausnahmefällen ein höheres Amt. So hatte es noch nie einen jüdischen Minister gegeben, aber genau das hatte Wolfssohn als sein

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