Mord in Der Noris
auch von ihrer Angst vor ihrem
fünfzigsten Geburtstag. Ihr war nun, als ob mit dem Erzählen die Ärgernisse
dieses an einschneidenden Widrigkeiten reichen Tages einen Gutteil ihres
Schreckens verloren hätten. Sie wusste sie bei Heinrich in guten Händen.
Akkurat in dem Moment, als sie mit ihrem Bericht
fertig war, öffnete sich die Tür abermals, und Frau Bartels erschien mit einem
Tablett in den Händen, auf dem offenbar das Sonntagsteegeschirr – buntes
Blümchenmuster auf feinem dünnem Porzellan – stand; daneben lagen drei
scheckig-grau angelaufene Silberlöffel, die sicher über einen langen Zeitraum
kein Tageslicht mehr gesehen hatten. Heinrichs Großmutter musste hinter der Tür
gelauert haben, bis der Gast ausgeredet hatte, eine andere Erklärung für diese zeitliche
Übereinstimmung zwischen Berichtsende und Eröffnung der Teestunde gab es nicht.
Während dieser ruhten die beruflichen Themen und
Anforderungen. Paula beobachtete Heinrich, wie er einen Keks nach dem anderen
schweigend in den Tee tunkte und dann mit großem Vergnügen in den Mund schob,
währenddessen seine Großmutter den Tee in kleinen Schlucken trank und die Tasse
jedes Mal mit einem kleinen Ruck auf der Untertasse absetzte. Es war jetzt ganz
still in dem Zimmer. Nur der Verkehrslärm drang von ferne durch die Fenster. Es
war so anheimelnd in diesem Wohnzimmer mit seinem Stil-Kuddelmuddel, dass Paula
in keiner Sekunde ins Bewusstsein drang, dass hier ein allem Anschein nach
überaus gesunder und fröhlicher Mitarbeiter saß und wieder mal auf ihre Kosten
krankfeierte.
Als die Teetassen leer waren, stand Heinrich auf und
sagte mit hochgezogenen Brauen: »Du willst doch jetzt bestimmt eine rauchen,
Paula. Komm, wir gehen auf den Balkon.«
Er bedeutete ihr mit dem Kopf, ihm zu folgen. Als sie
auf dem kleinen Balkon standen und sie sich die letzte Zigarette der Packung
angezündet hatte, erfuhr sie den wahren Grund für seine versteckte
Aufforderung. Er wollte mit ihr allein über Eva Brunners Benehmen und dessen
Folgen sprechen.
»Tut es dir leid, das mit der Eva?«, fragte er Paula.
»Nein. Leid tut es mir nicht, nicht mehr. Das war
einfach zu viel von ihr auf einmal. Vielleicht wenn sie am Anfang eingelenkt
hätte, aber so? Nein, das hat schon seine Richtigkeit.«
»Und wenn sie sich Hoffnungen macht, wieder zu dir
zurückkehren zu können?«
»Ich glaube nicht, dass sie zu uns zurückwill. Die ist
doch froh, wenn sie in Trommens Kommission wechseln kann. Der war das einfach
zu klein, zu mickrig in unserer Abteilung. Umsonst hat sie das mit den
Pamperl-Fällen nicht gesagt.«
»Aber Paula, das war doch nicht ernst gemeint.
Irgendetwas brauchte sie eben in diesem Augenblick, um vor dir nicht ganz und
gar das Gesicht zu verlieren. Das war nur eine Art Verteidigung, wenn auch eine
sehr unglückliche.«
»Und du, Heinrich, bedauerst du es, dass wir jetzt nur
mehr zu zweit sind?«
»Bedauern? Nein, nicht wirklich. Das ist mir mehr oder
weniger egal. Sie hat sich ja auch in den letzten Wochen oder richtiger: in den
letzten Monaten in eine ganz andere Richtung entwickelt. In eine, wie ich finde,
sehr unvorteilhafte Richtung. Wenn du nicht da warst, hat sie immer wieder mal
versucht, die Chefin zu spielen. Aber das war nicht das Entscheidende, denn da
hat sie bei mir sowieso auf Granit gebissen. Du kennst mich ja. Viel schlimmer
war«, er zögerte einen Augenblick, bis er fortfuhr, »ihre kesse, vorwitzige und
manchmal auch grobe Art. Einmal hat sie mich doch tatsächlich gefragt, ob ich
schwul bin. Es wäre doch seltsam, meinte sie, dass ich nie von einer Freundin
erzählen würde, sondern immer nur von meiner Großmutter.«
Er vermied es angestrengt, sie dabei anzusehen, sein
Blick blieb auf die leeren Balkonkästen gerichtet.
Die Frage hatte sie sich insgeheim auch schon
gestellt. Sie wusste nicht, was er jetzt von ihr erwartete. Hatte er ihr das
erzählt, damit er es ein für alle Mal vor ihr klären konnte? Oder nur als ein
Beispiel für Eva Brunners nassforsche Art, als eindrucksvoller Beweis für deren
Taktlosigkeit? Wollte er nun von ihr eine konkrete Nachfrage, ob dem so sei,
oder nur ein beifälliges Zur-Kenntnis-Nehmen, das die Unterstellung Eva
Brunners als Ding der Unmöglichkeit gar nicht erst in Betracht zog? Sie wählte
die dritte Möglichkeit.
»Das ist ja eine Unverschämtheit sondergleichen. Warum
hast du mir denn das nicht früher gesagt? Ich glaube, wir beide können uns froh
und glücklich schätzen, dass wir
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