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Mord in Der Noris

Mord in Der Noris

Titel: Mord in Der Noris Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Kirsch
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ihr.
    Die Siebenundachtzigjährige machte bei ihrem Anblick
ein erschrockenes Gesicht. Sie hatte vermutlich mit einer Nachbarin gerechnet,
aber sicher nicht mit der Vorgesetzten ihres Enkels. Paula wusste von der
Absprache zwischen Heinrich und seiner Großmutter im Falle einer seiner
zahlreichen Krankschreibungen; er hatte es ihr im Übermut und unter
Alkoholeinfluss einmal verraten – und mit Sicherheit schon etliche Male bereut.
Gemäß dieser Absprache war das Telefon für beide, für ihn wie für seine
Großmutter, ebenso tabu wie das Öffnen der Haustür oder – noch gefährlicher –
gar der Wohnungstür.
    »Grüß Gott, Frau Bartels. Ich würde gern mit Heinrich
sprechen, wenn es irgendwie möglich ist. Ganz kurz nur. Ich habe heute
Vormittag Frau Brunner entlassen müssen, und jetzt brauche ich dringend den Rat
Ihres Enkels. Sagen Sie ihm das bitte? Ich warte gerne solange hier draußen.«
    Es war Heinrichs Großmutter anzusehen, wie sie hin-
und hergerissen war zwischen einem minimalen Zugeständnis an die Höflichkeit,
demzufolge sie den Überraschungsgast jetzt in die Diele hereinbitten musste,
und dem Verweigern eben dieses Zugeständnisses. Frau Bartels entschied sich
schweren Herzens für die erste Variante. Dann verschwand sie in den hinteren
Trakt der Altbauwohnung.
    Sie hörte das aufgeregte Wispern der alten Frau mit
der hohen und erstaunlich jugendlichen Stimme Heinrichs selbst durch die Tür.
Kurz darauf kam er ihr offensichtlich gut gelaunt entgegen. Dunkelblau-weiß
gestreifter Bademantel über dem Flanellschlafanzug, die Haare noch mehr
zerzaust als sonst, ungewaschenes Gesicht, die Füße in ausgetretenen Badelatschen.
Sie nahm den Geruch von abgestandener Wärme an ihm wahr.
    »Oma hat mir gesagt, du hast die Eva rausgeworfen.
Stimmt das?«
    »Ja. Wobei ich den Begriff suspendieren vorziehen
würde. Es ist auf jeden Fall sehr, sehr schön, dass du bereit bist, mit mir zu
sprechen. Trotz der Tatsache, dass du krank bist.«
    Der letzte Satz war frei von jeder Ironie, denn sie
freute sich aufrichtig über sein Entgegenkommen, in jeder Hinsicht.
    Bevor sie weiterreden konnte, wies er auf die Tür zu
seiner Rechten. Er öffnete sie und trat dann einladend einen Schritt beiseite,
um sie eintreten zu lassen. Eine altmodische Galanterie, für die er eigentlich
zu jung war, an der sie aber Gefallen fand. Sie betrat das gemeinsame
Wohnzimmer der Bartels’schen Zweier- WG , die, wie
sie wusste, stets tadellos funktioniert hatte und das anscheinend noch immer
tat.
    Die Möblierung der guten Stube lieferte ihr dafür den
augenfälligen Beweis: Mit einer Gleichberechtigung, die sämtliche »Schöner
Wohnen«-Prinzipien Lügen strafte, verteilten sich hier die kennzeichnenden
Insignien der Vorstellungen von Behaglichkeit einer siebenundachtzigjährigen
Frau und eines vierunddreißigjährigen Mannes. An der Wand über dem klobigen
Plüschsofa mit seinen geklöppelten Schondeckchen hingen in bizarrer Eintracht
ein Schwarz-Weiß-Foto eines jungen blonden Burschen in Wehrmachtsuniform – wahrscheinlich
Heinrichs Großvater – neben einer Druckgrafik von Andy Warhol, die Richard
Wagner zeigte; in dem dunkelbraunen schweren Büfett aus glänzendem Nussbaumholz
standen geschliffene Kristallweingläser über einer umfangreichen CD -Sammlung; der überdimensionale
Bang&Olufsen-Fernseher war auf einer kleinen Kommode mit Kirschholzfurnier
abgestellt. Obwohl dieses Wohnzimmer sämtliche Gesetze der Ästhetik
missachtete, strahlte es doch eine Harmonie, ja mehr noch: eine ergreifende Gemütlichkeit
aus, die von dem liebevollen Miteinander seiner Bewohner rührte.
    Paula setzte sich an den riesigen dunkelbraunen
Esstisch, dem wuchtigen Pendant zu der glänzenden Anrichte. Heinrich fragte, ob
sie einen Kaffee oder Tee wolle. Sie verneinte beides. Eine Absage, die Frau
Bartels, die soeben gekommen war, nicht gelten ließ.
    »Das kommt ja gar nicht in Frage, dass Sie nichts
trinken. Da darfst du nicht lang fragen, Heinrich, du musst der Frau Steiner
einfach was vorsetzen, sie wird es dann schon trinken, gell? Ich mache uns mal
einen Kamillentee, der passt immer. Und dazu gibt es ein paar Kekse, gell?«
    Nachdem Frau Bartels in die Küche gegangen war,
erzählte Paula ihm von dem neuen Fall der Elvira Platzer, von der Suspendierung
und wie es dazu gekommen war, von Fleischmanns anzüglichen Fragen seine
Schwänztage betreffend und, da Heinrich ein geduldiger Zuhörer war und der
Kamillentee noch auf sich warten ließ,

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