Mord in Der Noris
Auslieferungslagers auf den
schmalen Gehweg und winkte ihr mit seiner Taschenlampe von Weitem zu. Froh,
dass er sie schon erwartet hatte, stellte sie sich vor und zog den Ausweis aus
der Jackentasche.
Doch Siegfried Ruckdäschel winkte ab. »Ich glaube es
Ihnen auch so. Sie sind doch Frau Steiner?«
Sie nickte. Er öffnete das Tor und ließ sie eintreten.
Der weitläufige Hof wirkte durch seine Leere noch größer.
»Hier können wir uns ungestört unterhalten. Macht es
Ihnen etwas aus, wenn wir dabei ein paar Schritte gehen?«
»Nein, überhaupt nicht. Es ist prima, dass das so
schnell geklappt hat. Ihr Chef hat Ihnen sicher schon den Grund meines Besuchs
gesagt?«
»Nicht genau. Nur dass Sie mit mir sprechen wollen
wegen eines Mordfalls. Und dass unsere Dienstmütze dabei eine Rolle spielt.« Er
tippte auf seine dunkelblaue Baseballkappe, auf der die drei Großbuchstaben SDF eingestickt waren. Darunter stand wesentlich
kleiner: »Sicherheits-Dienste Franken«.
»Ja, das ist richtig. Sie leben nicht mehr mit Ihrer
Frau zusammen?«
Erstaunt blickte er zu ihr. »Was hat denn das mit dem
Mord zu tun?«
»Bitte, Herr Ruckdäschel, beantworten Sie meine
Fragen. Desto schneller haben wir beide es hinter uns.«
»Ja, Melly und ich sind geschieden. Schon seit«, er
dachte nach, »sechzehn Jahren.«
»Und wenn ich fragen darf: Warum haben Sie sich von
ihr getrennt?«
»Nicht ich habe mich von ihr getrennt, sondern sie
sich von mir. Kennen Sie meine Exfrau?«
Sie nickte.
»Hübsch, gell? Aber auch sehr anspruchsvoll. Wenn die
früher zum Shoppen ging, und die ist oft zum Shoppen gegangen, war gleich ein
halber Monatslohn weg. Und ich hab früher gut verdient, besser als jetzt im
Objekt- und Werkschutz. Irgendwann hab ich ihr einen Riegel vorgeschoben. Sie
hat dann bloß noch ein Taschengeld von mir bekommen. Das war ihr aber zu wenig.
Da hat sie sich anderweitig was gesucht. Und bei ihrem Aussehen auch gefunden.«
»Und dann haben Sie sich scheiden lassen?«
»Ja, eine Zeit lang hab ich noch zugesehen, wie sie
mir immer neue Hörner aufsetzt. Aber irgendwann war auch Schluss.«
Paula ignorierte diese durchaus konfliktträchtige
Information und fragte stattdessen: »Hat Ihre Exfrau denn kein eigenes Geld
verdient?«
»Da kennen Sie Melitta aber schlecht. Früher, vor
unserer Ehe schon. Die war nämlich der Meinung, wenn sie schon heiratet, dann
soll der Mann gefälligst das Geld heimbringen.«
»Aha. Und welchen Beruf hat Ihre Ex gelernt?«
»Die war gelernte Krankenschwester.«
Das ergab einen Sinn, dachte Paula. Da weiß man, wo
man zustechen muss, um jemanden für immer schachmatt zu setzen. Dennoch fragte
sie: »Ist Frau Ruckdäschel Jägerin, hat sie einen Jagdschein?«
»Naa, gewiss net«, Siegfried Ruckdäschel schien diese
Frage zu belustigen, »da kann man ja keine Absatzschuhe anziehen oder ein
Seidenkostüm.«
»Dann hatte sie Ihres Wissens auch kein Jagdmesser,
zwanzig Zentimeter lang und beidseitig geschliffen?«
»Meines Wissens nicht.«
Sie hatten jetzt das riesige Gelände erst zur Hälfte
umrundet. Ruckdäschel sah auf die Uhr. »Nach meinem Plan muss ich demnächst mal
in die Halle rein zum Kontrollieren. Dauert es noch lang?«
»Nein. Ich habe nur noch zwei Fragen. Kennen Sie
eigentlich den Vater von Frau Ruckdäschel?«
»Nie gesehen, nie was von ihm gehört.«
»Und jetzt die letzte Frage, dann sind Sie von mir
erlöst. Haben Sie Ihrer Exfrau irgendwann einmal eine dieser Baseballkappen
Ihres Arbeitgebers geschenkt oder gegeben?«
»Nein. Wir haben ja keinen Kontakt mehr. Und die würde
so was Popeliges auch nie anziehen.«
»Aber Ihrer Tochter vielleicht?«
»Ja, der schon. Einen ganzen Packen. Für den Buben.
Kinder mögen ja so was. Denen ist das wurscht, was da draufsteht. Hauptsache,
sie können auch so eine Mütze wie der Opa tragen. Der kommt sich doch dann
gleich ganz wichtig vor.«
»Aber ist das nicht Teil Ihrer Arbeitskleidung,
durften Sie die Mützen überhaupt weitergeben?«
»Freilich. Unser Chef sagt immer, das ist unbezahlte
Werbung, kostet uns keinen Pfennig. Da sollen wir ganz freizügig sein.«
Siegfried Ruckdäschel schenkte die Mütze also seinem
Enkel, der Enkel gab sie an seine Mutter weiter, die wiederum an ihre Mutter –
und von da aus eröffnete sich ein Seitenarm zu deren Halbschwester Elvira.
Sie waren wieder bei dem Eisentor angelangt. Paula
dankte ihrem Zeugen herzlich und wünschte ihm noch eine ruhige Nacht ohne
Vorkommnisse. Dann fuhr sie
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