Prálinek - Eine Weihnachtsgeschichte
Axel Hacke
Prálinek
Eine Weihnachtsgeschichte
Mit Bildern von
Michael Sowa
Kunstmann
Vollständige eBook-Ausgabe der im Verlag Antje Kunstmann erschienenen Buchausgabe
Originalausgabe © Verlag Antje Kunstmann GmbH, München 2005
Lithografie: Reproline Genceller, München
Datenkonvertierung eBook: le-tex publishing services GmbH, Leipzig
ISBN 978-3-88897-623-0
W eißt du noch, es war so: Wir lagen auf deinem Bett und starrten an die Decke und warteten auf das Christkind, also darauf, dass es mit seiner kleinen, feinen Klingel klingeln würde, wie es jedes Jahr mit seiner kleinen feinen Klingel klingelt, damit wir nach unten gehen können, ins Wohnzimmer, wo der Christbaum…
Na, du weißt. Es war still geworden draußen und in unserem Haus, wie es am Heiligen Abend immer langsam still wird. Morgens ist es noch fast ein normaler Tag, und nachmittags wird es still. Deine Mutter war in der Küche und bereitete das Essen vor, und überall roch es, wie es sonst nie riecht: Tanne, Kerzen, Plätzchen.
Du und ich, wir lagen da. Ich war erst am Tag zuvor von einer Reise zurück gekommen, eine Woche lang war ich weg gewesen, weit weg, in China sogar, und das kurz vor Weihnachten. Ich hatte viel verreisen müssen in den vergangenen Monaten, manchmal nach China und oft nach Amerika. Du gingst zur Schule, und ich war abends nicht da. Das Leben, dachte ich, nimmt nicht viel Rücksicht auf einen Jungen, der abends gerne seinen Vater bei sich hätte, damit er ihm vorliest und was erzählt.
Oder vielleicht, dachte ich noch, ist es der Vater, der zu wenig Rücksicht auf den kleinen Jungen nimmt? Der auf alles mögliche Rücksicht nimmt, bloß nicht genug auf den Jungen.
Ich wollte deine Hand nehmen, aber du wolltest das nicht. Wir lagen nebeneinander auf dem Bett, aber wir waren noch weit voneinander entfernt.
Und das Christkind kam nicht und klingelte nicht, und weil alles so war, wie es war, und weil du langsam ungeduldig wurdest…
Nein, das stimmt nicht. Du wurdest nicht langsam ungeduldig, du wurdest sehr schnell ungeduldig, und du sagtest:
»Wann kommt das Christkind?«
Ich sagte: »Bald.«
Aber es kam nicht, das Christkind, und deshalb fragtest du: » Wann kommt es endlich , das Christkind?«
Ich sah dich von der Seite an und wartete, dass du mich auch ansehen würdest, aber du hast bloß auf den Schrank vor uns geguckt.
»Und wie wäre es…«, sagte ich. »Soll ich eine Geschichte erzählen?«
»Ach, nein«, hast du gesagt, aber das war, weil du dir gar nicht mehr vorstellen konntest, wie es ist, wenn ich dir eine Geschichte erzähle. Und ich dachte: Jetzt habe ich Zeit, ihm eine Geschichte zu erzählen, und er will die Geschichte nicht. So ist das, wenn man nicht so vertraut miteinander ist, wie man sollte. Man versteht sich nicht mehr.
»Ich bin so aufgespannt«, hast du gesagt. »Ich weiß nicht,ob ich mich auf eine Geschichte konzentrieren kann, wenn ich auf das Klingeln horche.«
»Was ist ›aufgespannt‹?«
»Na, das … Ich bin aufgeregt und gespannt, aufgespannt.«
»Wir werden sehen«, sagte ich und dachte: nicht aufgeben! Wenn man nicht vertraut miteinander ist, darf man nicht aufgeben, sonst wird man es nie – vertraut, meine ich.
»Ich erzähle mal«, habe ich gesagt. »Dann werden wir ja sehen.«
»Und wenn es mitten in der Geschichte klingelt?«
»Dann drückst du die Pause-Taste, und ich höre auf zu erzählen, bis du sie wieder drückst, und dann erzähle ich weiter.«
Da hast du gelacht. »Du hast keine Pause-Taste!«
Ich nahm einen Kugelschreiber und malte mir ein Viereck auf den Arm. Mitten in das Viereck schrieb ich: »Pause. Hier drücken!«
»Doch, habe ich!«, sagte ich. Und begann zu erzählen.
E s war einmal ein kleiner Junge, der hieß Arthur.
Dieser Arthur war ein normaler kleiner Junge, neun Jahre alt und einen Meter zwanzig groß. Er wohnte mit seinen Eltern in einem Haus in der Stadt. Aber seine Eltern waren nicht da. Sein Vater war mit dem Flugzeug nach China geflogen, um dort zu arbeiten, aber heute würde er wieder kommen.
Das tat er oft, der Vater, wegfliegen, meine ich, manchmal nach China und oft nach Amerika, und deswegen konnte er Arthur abends nichts vorlesen, wie der Vater von Arthurs Freund Rudi, der Rudi jeden Abend vorlas oder Kissenschlachten mit ihm machte, denn er musste nie nach China oder Amerika, sondern hatte einen Schreibwarenladen um die Ecke.
Arthurs Mutter war etwas besorgen gegangen, in den Supermarkt, das würde dauern, und Arthur
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