Mord in Der Noris
sie gestellt,
und auch er begutachtete nun die »alterslosen« Stiefeletten auf Eva Brunners
Bildschirm.
»Paula, kannst du dich noch an die Klamotten von
Jeannette Weber erinnern? Vor allem an den Strassgürtel. Die hat doch
ausgeschaut wie ein Pfingstochs beim Almabtrieb. Zu der würde so etwas passen.
Und zwar wie die Faust aufs Aug.«
»Stimmt«, pflichtete sie ihm bei. »Und wenn man dann
noch die Schulden und das sehr dürftige Alibi dazunimmt …«
»Dann haben wir eine oder besser: die perfekte
Tatverdächtige«, ergänzte der Oberkommissar selbstzufrieden. »Alles, was jetzt
kommt, ist eigentlich ein Kinderspiel. Denn selbst wenn es für Fingerabdrücke
nicht reicht, wonach es für mich bei der Größe ganz aussieht, dann ist auf
dieser Stachelniete mit Sicherheit das eine oder andere Hautschüppchen. Und wir
kriegen sie über die DNA -Analyse.«
Gerne hätte sie Heinrich auch in dieser
Siegesgewissheit zugestimmt. Doch seine Lösung kam ihr zu einfach vor. Zu naheliegend,
zu schnell, zu perfekt. Sie blieb skeptisch.
»Und wenn dieses Ding da der Platzer gehörte? Du hast
die Wohnung noch nicht gesehen, Heinrich, die hat alles gesammelt. Alles! Die
hätte auch so eine Niete, selbst wenn sie überhaupt keine Verwendung dafür hat,
nicht weggeworfen.«
»Aber hast du mir nicht erzählt«, widersprach
Heinrich, »dass sie in ihrem ganzen Chaos doch so etwas wie eine Ordnung und
alles nach Themen sortiert hatte? Und eine Niete mit einem funkelnden
Strasssteinchen unter den Obstkisten ist nicht ordentlich.«
»Ja, das stimmt schon. Und trotzdem …«
Auf der einen Seite der Waage lag dieses unbestimmte
Gefühl, dass Jeannette Weber nicht das Zeug zur Mörderin hatte. Auch nicht die
heftigen Gefühle, die dafür nötig gewesen waren. Aber das schwerere Gewicht –
die Niete, der Strassgürtel, die Schulden, das dürftige Alibi – lastete auf der
anderen Waagschale. Dennoch, die Zweifel blieben.
So fügte sie betont zuversichtlich hinzu: »Aber das
werden wir ja bald wissen. Ich gehe jetzt in die Tetzelgasse und bleibe so
lange dort, bis die mir etwas Definitives sagen können. Hoffentlich hat Frieder
heute Dienst. Und Zeit.«
Bevor sie die Tür hinter sich schloss, rief Heinrich
ihr noch gut gelaunt hinterher: »Da kann ich mir das mit dem Notar ja sparen.
Das wäre ja dann alles doppelt gemoppelt, die reine Zeitverschwendung. Ich
warte lieber, bis du wiederkommst, Paula, und wir was Definitives haben.«
Da drehte sie sich mit einem breiten Grinsen zu ihm um
und tippte sich dann mit dem Zeigefinger auf die Stirn. »Da täuschen Sie sich
aber, Herr Bartels. Das ist keine Zeitverschwendung. Wenn ich wiederkomme, will
ich von dir alles über diese Testamentsverfügung wissen, was es dazu zu wissen
und zu sagen gibt. Alles und keinen Deut weniger. Und – hast du beim
Delphinarium schon angerufen?«
Heinrich schüttelte den Kopf.
»Dann machst du das bitte anschließend. Und die
Technik soll heute noch in die Eichendorffstraße fahren und Fingerabdrücke von
der Klinke nehmen. Wobei ich glaube, dass das nichts bringt. Aber kümmere dich
bitte trotzdem darum.«
»Und, Frau Steiner, was machen wir jetzt mit den
Webers? Vorladen oder nicht?«, wurde sie noch von Eva Brunner gefragt.
»Natürlich vorladen. Was sonst.«
Im Rechtsmedizinischen Institut in der Tetzelgasse
hatte sie zweifaches Glück. Frieder Müdsam war da, und er hatte Zeit für sie.
Nach einem kurzen Blick auf das Tütchen mit der
Stachelniete sagte er: »Ich fürchte, da ist über einen Fingerabdruck nichts zu
holen. Es ist schon so, wie Heinrich meinte: Dafür ist das hier zu winzig. Und
jetzt entschuldigst du mich bitte, ich habe einen Eilauftrag von der Frau
Steiner. Und die kann und hat zwar viel, aber eines überhaupt nicht: Geduld.«
Bevor er mit den beiden Plastiktüten in seinem Labor
verschwand, drehte er sich noch einmal kurz um zu ihr, die sich nicht von der
Stelle gerührt hatte, und rief dann: »Also, ein wenig Zeit musst du mir schon
geben. Setz dich halt derweil auf die Bank, Paula.«
Prompt folgte sie Frieders Empfehlung und setzte sich.
Während sie auf ihn und seine Untersuchungsergebnisse wartete, schaute sie
gelegentlich auf ihre Uhr. Also alle fünf Minuten. Sie zwang sich zu Ruhe und
Gelassenheit. Machte sogar ein paar der Atemübungen, die ihre Mutter für Fälle
wie diese immer empfahl. Es half alles nichts: Ihr Puls galoppierte davon, als
sei er ein Rennpferd auf der Zielgeraden.
Endlich öffnete Frieder die
Weitere Kostenlose Bücher